Mittwoch, 22. März 2006

Heute in der U-Bahn

wurde ich im Wagen von einer Grundschulklasse begleitet.

„Ich habe eine Tante und die hat ein Pferd“, sagt da eines der Kinder zu einer der erwachsenen Begleitungen, wahrscheinlich der Lehrerin.

„Ich habe auch eine Tante, aber die hat kein Pferd“, meldete sich ein weiteres Kind zu Wort.

Freitag, 17. März 2006

Das schwarze Schaf

Bei einem Besuch der sehr empfehlenswerten Seite "Die Rückseite der Reeperbahn" stellte Herr Matt Wagner die Frage nach dem „schwarzen Schaf“ in der Nationalmannschaft. Nun, mir fiel dazu zunächst rein gar nichts ein, was mich auch nicht weiter verwundert hat, da ich über Fußball auch nicht mehr weiß als über Trockeneis. Doch als ich mich im Waschraum aufhielt, um mir die Zähne zu putzen, da sah ich plötzlich alles, die ganze Wahrheit:

Zunächst dribbelte sich Deisler durch meine Gehirngänge in den Kreis des Verdächtigen, denn jener hat sich offensichtlich wieder übernommen. Damals in Bayern kam er doch eine Zeitlang in eine Klinik, zum betreuten Wohnen. Aus diesem Loch ist er nie wieder rausgekommen, also psychisch. Ständig dieser Erwartungsdruck. Das wird nix mehr, ist ihm völlig klar. Dazu hört er im Radio immer von der Altersarmut, Privatvorsorge.... da hat er natürlich auch wieder Angst und wollte noch ein paar Kröten nebenher verdienen, zur Absicherung. Ausschlaggebend für mich war jetzt die Sache mit der unerklärlichen Knieverletzung, die genau in dem Augenblick akut wurde, in der der Skandal an die Presse kam. Passt doch: Stressfaktor steigt, und Deisler ist wieder am Boden. Sollte er das bis zur WM durchziehen, dann kann er natürlich auch nicht spielen, insofern kann man ihm auch nichts unterstellen, eine reine Vorsichtsmaßnahme, um aus der Nummer wieder rauszukommen - wer nichts macht, macht auch nichts falsch.

Letztlich konnte ich das Deisler aber doch nicht zutrauen. Er hätte sicherlich ohnehin so reagiert. Immer die Angst für den Verräter gehalten zu werden. Eine falsche Flanke und...

Natürlich handelt es sich um Jens Lehmann, der nun definitiv zu seiner letzten WM antreten wird und selbstverständlich steht der Einsatz von Olli Kahn fest. Lehmann kann von Glück sagen, wenn er mal für ein Spiel raus darf. Kahn muss also weg. Hier ist das eigentliche Motiv! Lehmann braucht Schwarzgeld, um der Mafia unauffällig Geld geben zu können, damit jene Herren dem Kahn vor dem P1 in München zünftig zur Sau machen, so dass ein Einsatz zur WM nicht gegeben ist. Es wäre doch seltsam, wenn Lehmann kurz zuvor bei seiner Bank einen beträchtlichen Geldbetrag abheben würde. Zwar wird die Aktion nach einem Überfall aussehen, weil die nämlich Ollis Ferrari mitnehmen. Den kann Lehmann nämlich auch nicht leiden, weil der Olli damit immer die kleinen blonden Thekenschlampen abschleppt, und weil der Lehmann den Olli überhaupt mal richtig ärgern will. Doch dürfte Kahn schon klar sein, wer für diese Missetat in Betracht kommt. Lehmann handelt zunächst nach dem Motto: Dabei sein ist alles!

Und wie sieht das mit den Manipulationen aus? Zunächst hat er ja ein sehr großes Ego, ihm wäre die Zusage zuzutrauen, in den Spielen einfach jeden Ball zu halten, also kein Tor zu kassieren. Die Deutschen könnten daher gar nicht verlieren. Oder Lehmann geht nicht von einer Endspielteilnahme aus, sondern nur vom Viertelfinale, dann verspricht er eben, die gegnerische Sturmspitze für das kommende Spiel auszuschalten - oder wen auch immer. Einen kleinen Vorteil für den Gegner schaffen. Der Gegner der Nationalmannschaft aus dem Viertelfinale wäre jedenfalls nach dem Spiel keinen Pfifferling mehr wert. Ein mächtiger Tritt und kein Spitzenstürmer ist mehr fit. Das kann passieren im Sport. Man denke an die Sache mit dem Ohr und Mike Tyson. Irgendwer steht am Rand und ruft Lehmann zu: "Mach die Nummer 10 raus!“

Nein, alles Quatsch. Es sind alle. Alle? Ja! Und das ist meine endgültige Antwort. Alle wie sie da stehen. Nur das ergibt einen Sinn. Was können die abräumen! Hat doch schon beim letzten Spiel gegen Italien gut geklappt. Jeder von denen setzt 20.000 auf ein 1:4. Die Jungs können, wenn sie zusammen halten, mehr oder weniger die genauen Tore voraussagen. Notfalls mal ein Eigentor. Genau, in England kann man doch auf alles setzen. Im dritten Spiel der Nationalmannschaft fällt ein Eigentor, was für eine Quote. Natürlich sollte Kahn da nicht persönlich auftauchen und € 400.000,-- über den Tisch schieben.

Es geht hier auch nicht um 1:2 oder 1:3, nein, das ist sicher schlecht zu steuern. Aber gegen England mit 1:5 abzutreten würde sich sicher lohnen. Die wollen alle richtig abräumen. Immer dieser Ärger, die Buhmänner der Nation! Und wofür, da kommt doch nichts bei rum, bei so einer WM, was gibt es da schon? Die sind noch jung und brauchen das Geld jetzt und nicht erst mit 30. Klar, so ein Vertrag bei Bayern ist schon ganz gut. Miete, Essen, Kleidung, aber mal ´nen paar Scheine für nebenbei, so für Luxus, hätte doch jeder ganz gerne. Kann man verstehen.

Gut, was hat das alles mit der Mafia zu tun, wozu sollte die Geld bezahlen, denn wenn sich die Jungs einig sind, dann muss kein Dritter mitmischen! Richtig, wird auch keiner. Die wurden zwar angesprochen, aber irgendwer konnte seine Klappe nicht halten und hat gequatscht. Wie das immer so ist. Im Grunde beruht das alles auf ein Missverständnis. Die Mafia fragt: „Hey, wollt ihr nicht ein paar Spiele für uns drehen, wir bezahlen.“ Und Podolski kontert grinsend:“Nee, klar, mach´wa eh schon überhaupt alles.“ Oder die Mannschaft brauchte die Jungs zum Setzen und für die Vorstreckung des Geldeinsatzes. Es wäre schon gut für die Spieler, wenn sie mit diesen Wetten nicht in Zusammenhang gebracht würden.

Dieser Skandal wird nicht aufgeklärt werden. Es gibt in dem Sinne keinen. Weder Zahlungen, noch sonst was. Schon gar nicht die Bestechlichkeit eines Spielers. Das ist übrigens ein enormer Vorteil aller Beteiligten. Selbst wenn der Skandal die Ohren der Staatsanwaltschaft erreichen sollte, wer wäre so verrückt, die gesamte Nationalmannschaft auffliegen zu lassen.

Mittwoch, 15. März 2006

AC/DC und Richard Wagner und Tristan und Isolde

Ich bin kein Wagner-Fan, ganz und gar nicht, und genau genommen gab es bei einem Zusammentreffen mit eingefleischten Wagnerianern bisher immer Ärger. Natürlich sollte einzig und allein die Musik im Vordergrund stehen, und das Werk und die Person differenziert betrachtet werden. Werk und Künstler, die Auseinandersetzungen darüber sind bekannt. Auf die Bücher von Céline hätte ich persönlich auch nur ungern verzichten mögen, obwohl die Person nun Anlass genug zur Meidung böte.

Bei Wagner war es für mich zunächst aber sehr einfach, denn ich kannte die Musik nicht sonderlich gut, im Großen und Ganzen beschränkte sich meine Kenntnis auf den Walkürenritt, und die Person Wagners lässt nun mal einfach keinen Spielraum für Positives, da ist die Marschrichtung bei diesem Thema klar und von vornherein auf Krawall angelegt.

Die Aussage, dass Wagner als AC/DC der Klassik zu betrachten sei, nur eben nicht ganz so harmonisch, hat meistens schon genügt, um die Stimmung zu kippen. Natürlich wurde mir vorgeworfen, ein Urteil nur aufgrund eines mir bekannten Stückes zu fällen, und ich so niemals dem facettenreichen Werk des Meisters...Natürlich hatte ich in ein paar andere Sachen reingehört, kurz nur, aber es hörte sich alles gleich an. „Kennst´e eines kennst´e alle!“, dachte ich, was im Übrigen eine weitere Parallele zu AC/DC gewesen wäre.

Meine Assoziationen zu Wagner ergaben sich hauptsächlich aus Filmen, die sich mit dem Klang des Walkürenritts auf ewig in mein Gedächtnis gebrannt zu haben schienen. Unvergesslich die Szene aus „Apokalypse Now“, in der Hubschrauber zu dem Ritt der Walküren ein Dorf in Schutt und Asche legen. Sobald auch nur die ersten Töne jener Reiterei mein Ohr erreichen, steigen diese Hubschrauber vor meinem geistigen Auge auf. Wirklich schlimm für mich war aber die Assoziation zum Dritten Reich, mit der Folge, dass ich bei dieser Musik oftmals an die Nazis denken musste, an jene Zeit Deutscher Geschichte, die mich an einen Abgrund des Unbegreiflichen drängt.

Es ist schon einige Zeit her, da bot sich mir jedenfalls die Möglichkeit, eine eingehendere Erfahrung hinsichtlich der Musik Wagners zu machen. Und so hatte ich mir, trotz der hohen Wahrscheinlichkeit einer bitteren Enttäuschung, Karten im Rahmen der Wagner-Festspiele unter Daniel Barenboim in Berlin für Tristan und Isolde besorgt.

Von der Berliner Staatsoper Unter den Linden selbst war ich schon immer begeistert. Ein schönes und ansprechendes Opernhaus. Das alles klingt natürlich irgendwie albern. Schließlich ist und sollte es doch völlig egal sein, wie ein Opernhaus aussieht. Für mich ist es allerdings wichtig, denn ein Opernhaus muss Ausstrahlung besitzen, eindrucksvoll sein, einen gewissen Flair verbreiten. Die Deutsche Oper in Charlottenburg hingegen werde ich daher nie betreten. Sie wirkt geradezu ekelig, unästhetisch, absurd hässlich, kalt, dreist, gefühllos, spießig, langweilig, müde, billig, würdelos und überhaupt völlig ohne Flair. Das Wort „Opernhaus“ ist in diesem Zusammenhang im Übrigen überhaupt grotesk, es ist eine Bausünde schlechthin. Ein Abriss könnte da viel zu einem harmonischen Gesamtkonzept der Stadt beitragen. Da wurde immer der souveräne Palast der Republik bemäkelt. West – Berlin macht mir da mehr Sorgen. Wer will schon zum Ku'damm, auch dort können Verbesserungen vorgenommen werden, und die Deutsche Oper fleht doch geradezu nach der Abrissbirne. Der Gesichtspunkt der Kostenersparnis für Berlin sei hier auch nur am Rande erwähnt.

Das Publikum war zu meiner Überraschung überwiegend international. Ich hatte zunächst Angst, auf ein Sammelsurium deutscher Herren zu stoßen, die die ganze Zeit über den Krieg reden würden und auch so aussähen, als hätten sie einen beträchtlichen Teil dazu beigetragen. Unglaublich viele Asiaten und Engländer waren anwesend. Ich vernahm eigentlich nur englische Sprache. Den Satz: „Don´t mention the war“, konnte ich leider nirgends aufschnappen

Neben mir saß ein englisches Ehepaar aus London. Leider hatte der gute Herr das EDT Knize Ten verwendet. Der Geruch ist an sich ganz angenehm, doch besteht die Schwierigkeit darin, die richtige Dosierung zu finden. Das gilt selbstverständlich für alles, doch ist es hier ganz besonders verhängnisvoll. Bereits wenige Tropfen reichen nämlich völlig aus. Der Flakon des Engländers, das kann ich mit Bestimmtheit sagen, hatte einen Sprühverschluss, und den betätigte er auch mehr als einmal, und zwar erst kurz vor seinem Aufbruch in die Staatsoper. Ich saß in Reihe 12 im Parkett. Bei vorsichtiger Schätzung nehme ich an, dass die Reihen 5 - 18 den Duft ebenfalls in einer sehr intensiven Form genießen durften, und zwar von 16.00 bis 22.00 Uhr. Aber da gewöhnt man sich ja auch dran. Trotzdem, diese mangelnde Rücksichtnahme, ich verzehre ja auch keinen Knoblauchdöner, bevor ich in die Oper gehe, da wäre das Geschrei dann wieder groß gewesen.

Aber dann, schon die ersten Klänge der Ouvertüre zu Tristan und Isolde ließen mich alles andere um mich herum vergessen. Das war und ist mit Abstand die beste Ouvertüre, die ich bisher hörte. Es war einfach überwältigend. Ich schloss die Augen und ließ mich einfach fallen und treiben. So unglaublich viel Gefühl, alles war darin enthalten. Liebe, Verzweiflung, Raserei, Vergebung, Tod. So zog es sich weiter, die ganze Oper ist ein Genuss, ich hätte im Traum nicht daran gedacht, jemals von einem Stück von Wagner, vielleicht überhaupt von einer Oper, derart berührt zu werden, eine unglaubliche Erfahrung. Es war eine zarte und harmonische Inszenierung, ganz anders als der Krawall, den ich sonst mit Wagner verband.

Drei Tage später ging ich wieder hin und schaute die Götterdämmerung, die mir gut, aber nicht annährend so gut wie Tristan und Isolde gefallen hat. Die Hubschrauber erschienen natürlich bei den Klängen des Walkürenritts, von meinen anderen Befürchtungen blieb ich zum Glück verschont. Obwohl ich mich letztlich in diesem Zusammenhang immer wieder Frage, warum ich nicht mehr an die Nazis denken muss, wenn ich Wagner höre, keine wirkliche Erleichterung. Dieser gedankliche Kreislauf wird nun leider auch mit Wahrnehmung des Geruchs von Knize Ten in Gang gesetzt.

Demnächst wird Tristan und Isolde in der Staatsoper wieder aufgeführt. Besorgen Sie sich Karten!

Dienstag, 14. März 2006

Winter – Schaschlik – Depression?

Gestern überkam mich ein seltsames Verlangen und hält immer noch an. Eine gewisse Gier drängt nach Befriedigung. In dieser Form hatte ich das seit mindestens fünfzehn Jahren nicht mehr erlebt: Ich habe nämlich richtig Lust auf ein Schaschlik. Genau, so ein schäbiges Schaschlik. Eigentlich esse ich ja überhaupt kein Schweinefleisch mehr, aber für so ein Schaschlik würde ich jetzt und hier tatsächlich eine Ausnahme machen, weil ich da einfach wahnsinnige Lust zu habe. Und dabei meine ich nicht so ein rohes Schaschlik vom Fleischer zur Selbstzubereitung, nein, sondern ein in einer scharfen Soße seit Stunden verharrendes, schon fertiges Schaschlik. Wo gibt´s das hier in Berlin überhaupt? - Nachher werde ich mal zu Konopke rüberflitzen, das wäre doch sicherlich eine Möglichkeit.

Schaschlikspieße haben sich ja ziemlich rar gemacht und liegen irgendwie nicht mehr im Trend. In den Achtzigern, da gab es doch in jedem Imbiss, der Currywurst anbot, auch Schaschlik, aber jetzt, wenn man mal eines braucht, ist keines da. Notfalls führe ich dafür auch nach Charlottenburg, jedoch nicht nach Köln, wo es, wie ich gestern erfuhr, die besten Schaschliks geben soll. Aber das halte ich auch für übertrieben, gut, wenn man ohnehin in Köln ist, aber so?

Im alten West-Berlin gibt es bestimmt irgendwo Schaschlik. Vielleicht am Bahnhof Zoo?
Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen, weil mir der blöde Schaschlikspieß nicht aus dem Kopf ging. Jetzt schreibe ich auch noch darüber, das hätte ich mir auch nicht träumen lassen, und dazu musste ich mich auch noch die ganze Nacht kratzen, weil ich zuvor in einer Bar einen Hund streichelte und dazu behauptete, dass wir jetzt bestimmt Flöhe bekämen. Das führte soweit, dass sich meine Begleiterin auch ständig kratzen musste. Ich bin ja grundsätzlich offen für Symptome der verschiedensten Krankheiten und erkenne sie auch sehr schnell, ja, da macht mir keiner was vor, und insofern war mir schon klar, keinen Floh zu haben, aber ein derartiges Kratzverlangen hatte ich wirklich selten.

Angesichts dieser Schaschlikvorstellung hätte ich auch mal wieder Lust zu grillen. Früher hatten wir mal eine Grillphase, mein Studienkollege C. und ich. Der C. hatte eine riesige Dachterrasse, auf der saßen wir und grillten, meistens in großer Gesellschaft und das fast jeden Tag, es war schon ekelhaft, aber wir hatten dafür auch immer Biofleisch von unglaublich glücklichen Tieren gekauft.

Einmal wollte ich den C. morgens zur Uni abholen und betrat durch die bereits offene Tür die Wohnung. Ich fand den C. auf der Dachterrasse über den Grill gebeugt vor. Rauchschwaden zogen auf. „Ich grill’ mir gerade was zum Frühstück, willst du ´ne Wurst oder ein Nackensteak“, rief der C. mir zu, während er mit einem Skript „BGB – Leichtgemacht“ weiter die Kohlen anfächelte. Es muss damals kurz vor 10.00 Uhr gewesen sein. Der Tag war gelaufen, denn morgens in der Uni in völlig verräucherten Klamotten zu erscheinen war einfach undenkbar.

Irgendwann, an einem Tag im Spätsommer, da war es dann soweit. Der C. versuchte verschiedenste Male ohne Erfolg, den Grill zu entfachen. Wie das so ist in großer Runde, musste sich der C. bei seinem vergeblichen Mühen, einige Frotzeleien anhören. Schließlich verließ der C. die illustre Runde und zog sich ein wenig beleidigt ins Innere seiner Wohnung zurück. Ein merkwürdiger, geradezu lächerlicher Abgang, dass mag sich auch der C. gedacht haben, schließlich war das hier sein Revier, und so erschien er kurzerhand wieder auf der Bildfläche. „ICH GRILL NICHT MEHR“, schrie er, trat den noch fleischlosen Grill um und zog sich erneut in seine Wohnung zurück. Der C. hatte die Grillphase auf die ihm eigene Art und Weise für beendet erklärt.

Die verstreute Kohle und der umgekippte Grill verzierten noch einige Tage die Fliesen der Dachterrasse, bevor sich dichter Regen gemeinsam mit den ersten einsetzenden Herbstböen jenen Überbleibseln der vergangenen Wochen annahm. Es war ein seltsames Bild, wie wir da schweigsam saßen und doch alle ahnten, dass es nicht nur die Holzkohle war, die es dort in die Regenrinne spülte, sondern sich in diesen schwarzen Schlieren auch die friedliche Unbekümmertheit eines vergangenen, gemeinsamen, unbeschwerten und glücklichen Sommers befand. Uns wurde bewusst, dass diese absolute Freiheit, von der diese verrückte Grillerei nur einen belanglosen Ausschuss darstellte, nur eine vorübergehende Illusion war. Einfach tun zu können, was man möchte, wann man es möchte. Diese absolute Verantwortungslosigkeit, diese Leichtigkeit des Seins. Das es sich dabei nur um einen kleinen Lebensabschnitt handelt, und der Ernst des Lebens kommen wird, ob nun früher oder später, aber man näherte sich ihm, mit jedem Atemzug ein kleines Stückchen.

Nein, eigentlich möchte ich kein Schaschlik, nicht wirklich. Ich möchte in der Sonne sitzen, unter einem blauen Himmel, jetzt. Vielleicht auf jener Dachterrasse mit all jenen, ganz ohne Ernst, nur für einen Tag.

Montag, 6. März 2006

Elternbesuch I

Als ich meinen Eltern eröffnete, dass wir jetzt nach Berlin zögen, fielen die Wogen der Begeisterung sehr bescheiden aus, und das ist, um ehrlich zu sein, noch beschönigend beschrieben. „Berlin, warum denn ausgerechnet nach Berlin? Wenn Ihr schon umziehen wollt, dann geht doch nach Hamburg oder nach München, in München ist zumindest meistens schönes Wetter.“
Seitdem besuchten mich meine Eltern viele Male, oft auch mit meiner lieben Oma. Die anfängliche Skepsis hat sich nicht wirklich verringert, doch ist Verständnis für die Wahl Berlins entstanden, irgendwie. „Ja, das ist hier schon was anderes. So eine große Stadt, da ist Leben, überall was los. Aber auf Dauer, nee, auf Dauer wäre das nichts für mich. Das wird euch später auch nicht mehr gefallen“, wie mein Vater die ganze Situation einzuschätzen weiß.

Meine Eltern besuchen mich regelmäßig in unregelmäßigen Abständen in Berlin, zumindest aber alle 8 Wochen. - „Dein Vater kommt gleich, er sucht noch einen Parkplatz,“ lauten die ersten Worte meiner Mutter, wenn sie in meinen Flur tritt. Das mit den Parkmöglichkeiten ist hier, wie in allen großen Städten, ein wirkliches Problem. Als berlinspezifisches Problem zählen zu dem Themenkomplex Auto, zumindest in der Wahrnehmung meines Vaters, aber noch Autodiebstahl und Vandalismus.

Dass der Wagen bisher, seinen Befürchtungen zum Trotz, nicht gestohlen wurde ist das Eine. Dass aber sogar jeder Stern die Hauptstadt wieder unbeschadet verlassen hat, grenzt für meinen Vater an ein Wunder. Zogen in Berlin nicht immer Horden betrunkener junger Leute durch die Straßen, deren liebste Aufgabe es war, unter bracchialer Gewalt die Sterne von den Bonzenkarren zu reißen und stolz als Kettenanhänger zu tragen oder zumindest den Lack zu zerkratzen und „Keine Macht für Niemand“ darauf zu hinterlassen?

Es sei nebenbei bemerkt, dass mein Vater schon ein wenig übervorsichtig ist, und das auch früher schon war. So übergab er mir in sehr jungen Jahren ein Erste-Klasse-Ticket für den ICE nach Hamburg mit den Worten: „In Hamburg steigst du aber aus einem Wagen der zweiten Klasse aus“. Damals legte ich das noch als Vermittlung von Understatement und nicht als Bangemachen aus.

So sind meine Mutter und ich schon immer ganz froh, wenn das Auto mal nicht in Sichtweite zu meiner Wohnung steht, weil dann das plötzliche, vom Sofa hochschreckende und aus dem Fenster Überwachungsblicke werfende Verhalten meines Vaters einfach unterbleibt. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass mein Vater unruhig ist, nachdem er in unzähligen Umrundungen des Helmholtzplatzes die Möglichkeit der Erlangung eines Sichtparkplatzes schlussendlich verworfen hat und eine Dreiviertelstunde nach dem Erscheinen meiner Mutter leicht gereizt auftaucht. Die Situation, dass ich ihm erklären musste, wie er denn nun zu Fuß zu meiner Wohnung gelagen würde, stellte sich in all der Zeit tatsächlich einmal. Zwar bleiben wir unter solchen Voraussetzungen nur kurz bei mir, aber es ist in den eigenen vier Wänden letztlich immer entspannter.

Natürlich wird auch immer alles mit dem Auto unternommen. Die Parkplatzprozedur gehört insofern zum festen Bestandteil des Besuchsprogramms meiner Eltern und macht es zwangsläufig auch zu meinem. Andere Familien lassen das Auto stehen und verwenden diese überschüssige Zeit vielleicht für einen Museumsbesuch oder bauen ein Haus. Wir nicht, aber wir „sitzen im Auto auch schön zusammen und können uns nett unterhalten“. Mein Vater fährt auch sehr gerne Auto, ich nicht, aber wen interessiert das schon, Sie vielleicht?

Ein Besuch führte uns zum Essen nach Friedrichshain, an den Boxhagener Platz zu einem Italiener, den wir, meine ständige Begleiterin und ich, als ganz gut einstuften. Nachdem wir irgendwann irgendwo einen artgerechten Parkplatz gefunden hatten, fielen meiner Mutter beim Aussteigen sofort die unzähligen Hundehaufen ins Auge, die sehr unorthodox über die Bürgersteige verteilt waren. Obwohl meine Mutter die Gesamtsituation gleich nach dem Aussteigen gegenüber meinem Vater mit den Worten: „Oh Gott, H., hier musst Du aufpassen, nicht dass du da wieder rein trittst“, deutlich gemacht hatte, konnte sie das nicht davon abhalten, jeden einzelnen Haufen, dem sich mein Vater näherte, noch durch ein vereinzelt gerufenes „Vorsicht“ oder „Achtung“, hervorzuheben. Mein Vater wäre so schusselig geworden, der trete da nämlich ganz gerne mal rein, erklärte meine Mutter mir und auch fremden Passanten ihre ständig ausgerufenen Warnungen.

So zogen wir los. Zeitweilig im Gänsemarsch. Vorbei an den unzähligen Außentischen, die bei dem Wetter gut besetzt waren. Mit meiner ständigen Begleiterin richtungweisend vorneweg, gefolgt von meiner handtaschenumklammernden Oma. Mein Vater kommentierte dabei laut und deutlich besonders augenfällige Grafitties und konnte es auch nicht unterlassen, nebenher noch jeden Mercedes mit abgebrochenem Stern zu erwähnen. Ich hätte bei dem Spielchen sicherlich Contra geben können, indem ich einfach die Autos mit Stern gezählt hätte, doch war mir das einfach zu anstrengend. Nebenher ertönte ab und an noch der durchdringende Warnruf meiner Mutter, allerdings mit einer Vehemenz, mit der man auch auf einen sprengstoffumgürtelten Selbstmordattentäter oder ein brennendes Triebwerk aufmerksam gemacht hätte.

Oma: „Und Kinder, was ist denn das für ein Italiener, zu dem wir extra solange fahren mussten?“.
Vater: „Die ganze Hauswand. Hier, also einmal quer rüber. Auch nicht mehr gemalt, einfach nur ein Strich. Eine a – b – s – o – l –u – t - e Frechheit.“
Kinder (Wir): „Eigentlich ist es gar nicht weit. Wir waren da letztlich mal, der ist wirklich ganz gut. Die Pizzen sind lecker...
Mutter: „ACHTUNG H.!!!“
Wir:"...und hausgemachte Nudeln, die..."
Vater: Und da, wieder einer ohne Stern!“

In Friedrichshain hatte es ihnen überhaupt nicht gefallen, und bei dem von uns empfohlenen Italiener auch nicht. Nicht mal Tischdecken hatte der aufgelegt, was für meine Oma ein absolutes Ausschlusskriterium bedeutet. Seitdem keine Experimente mehr!

Für ähnlich problematische Fälle: Lutter & Wegner am Gendarmenmarkt, dort kann man in den Seitenstraßen auch an einem Sonnabend sehr gut parken. Das KDW mit angrenzendem Parkhaus. Das Restaurant 31 in der Bleibtreustraße in Charlottenburg. Die Parkplatzsituation ist da nicht ganz so entspannt, doch lässt die Vorfreude auf das hervorragende und ausgezeichnete Essen jeden Schmerz unter den Tisch fallen.

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wie schrecklich.
engl - 27. Aug, 16:28
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Die Summe von all dem ergibt das "Warten auf den Tod".
Chinaski - 26. Aug, 19:49

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