Elternbesuch I

Als ich meinen Eltern eröffnete, dass wir jetzt nach Berlin zögen, fielen die Wogen der Begeisterung sehr bescheiden aus, und das ist, um ehrlich zu sein, noch beschönigend beschrieben. „Berlin, warum denn ausgerechnet nach Berlin? Wenn Ihr schon umziehen wollt, dann geht doch nach Hamburg oder nach München, in München ist zumindest meistens schönes Wetter.“
Seitdem besuchten mich meine Eltern viele Male, oft auch mit meiner lieben Oma. Die anfängliche Skepsis hat sich nicht wirklich verringert, doch ist Verständnis für die Wahl Berlins entstanden, irgendwie. „Ja, das ist hier schon was anderes. So eine große Stadt, da ist Leben, überall was los. Aber auf Dauer, nee, auf Dauer wäre das nichts für mich. Das wird euch später auch nicht mehr gefallen“, wie mein Vater die ganze Situation einzuschätzen weiß.

Meine Eltern besuchen mich regelmäßig in unregelmäßigen Abständen in Berlin, zumindest aber alle 8 Wochen. - „Dein Vater kommt gleich, er sucht noch einen Parkplatz,“ lauten die ersten Worte meiner Mutter, wenn sie in meinen Flur tritt. Das mit den Parkmöglichkeiten ist hier, wie in allen großen Städten, ein wirkliches Problem. Als berlinspezifisches Problem zählen zu dem Themenkomplex Auto, zumindest in der Wahrnehmung meines Vaters, aber noch Autodiebstahl und Vandalismus.

Dass der Wagen bisher, seinen Befürchtungen zum Trotz, nicht gestohlen wurde ist das Eine. Dass aber sogar jeder Stern die Hauptstadt wieder unbeschadet verlassen hat, grenzt für meinen Vater an ein Wunder. Zogen in Berlin nicht immer Horden betrunkener junger Leute durch die Straßen, deren liebste Aufgabe es war, unter bracchialer Gewalt die Sterne von den Bonzenkarren zu reißen und stolz als Kettenanhänger zu tragen oder zumindest den Lack zu zerkratzen und „Keine Macht für Niemand“ darauf zu hinterlassen?

Es sei nebenbei bemerkt, dass mein Vater schon ein wenig übervorsichtig ist, und das auch früher schon war. So übergab er mir in sehr jungen Jahren ein Erste-Klasse-Ticket für den ICE nach Hamburg mit den Worten: „In Hamburg steigst du aber aus einem Wagen der zweiten Klasse aus“. Damals legte ich das noch als Vermittlung von Understatement und nicht als Bangemachen aus.

So sind meine Mutter und ich schon immer ganz froh, wenn das Auto mal nicht in Sichtweite zu meiner Wohnung steht, weil dann das plötzliche, vom Sofa hochschreckende und aus dem Fenster Überwachungsblicke werfende Verhalten meines Vaters einfach unterbleibt. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass mein Vater unruhig ist, nachdem er in unzähligen Umrundungen des Helmholtzplatzes die Möglichkeit der Erlangung eines Sichtparkplatzes schlussendlich verworfen hat und eine Dreiviertelstunde nach dem Erscheinen meiner Mutter leicht gereizt auftaucht. Die Situation, dass ich ihm erklären musste, wie er denn nun zu Fuß zu meiner Wohnung gelagen würde, stellte sich in all der Zeit tatsächlich einmal. Zwar bleiben wir unter solchen Voraussetzungen nur kurz bei mir, aber es ist in den eigenen vier Wänden letztlich immer entspannter.

Natürlich wird auch immer alles mit dem Auto unternommen. Die Parkplatzprozedur gehört insofern zum festen Bestandteil des Besuchsprogramms meiner Eltern und macht es zwangsläufig auch zu meinem. Andere Familien lassen das Auto stehen und verwenden diese überschüssige Zeit vielleicht für einen Museumsbesuch oder bauen ein Haus. Wir nicht, aber wir „sitzen im Auto auch schön zusammen und können uns nett unterhalten“. Mein Vater fährt auch sehr gerne Auto, ich nicht, aber wen interessiert das schon, Sie vielleicht?

Ein Besuch führte uns zum Essen nach Friedrichshain, an den Boxhagener Platz zu einem Italiener, den wir, meine ständige Begleiterin und ich, als ganz gut einstuften. Nachdem wir irgendwann irgendwo einen artgerechten Parkplatz gefunden hatten, fielen meiner Mutter beim Aussteigen sofort die unzähligen Hundehaufen ins Auge, die sehr unorthodox über die Bürgersteige verteilt waren. Obwohl meine Mutter die Gesamtsituation gleich nach dem Aussteigen gegenüber meinem Vater mit den Worten: „Oh Gott, H., hier musst Du aufpassen, nicht dass du da wieder rein trittst“, deutlich gemacht hatte, konnte sie das nicht davon abhalten, jeden einzelnen Haufen, dem sich mein Vater näherte, noch durch ein vereinzelt gerufenes „Vorsicht“ oder „Achtung“, hervorzuheben. Mein Vater wäre so schusselig geworden, der trete da nämlich ganz gerne mal rein, erklärte meine Mutter mir und auch fremden Passanten ihre ständig ausgerufenen Warnungen.

So zogen wir los. Zeitweilig im Gänsemarsch. Vorbei an den unzähligen Außentischen, die bei dem Wetter gut besetzt waren. Mit meiner ständigen Begleiterin richtungweisend vorneweg, gefolgt von meiner handtaschenumklammernden Oma. Mein Vater kommentierte dabei laut und deutlich besonders augenfällige Grafitties und konnte es auch nicht unterlassen, nebenher noch jeden Mercedes mit abgebrochenem Stern zu erwähnen. Ich hätte bei dem Spielchen sicherlich Contra geben können, indem ich einfach die Autos mit Stern gezählt hätte, doch war mir das einfach zu anstrengend. Nebenher ertönte ab und an noch der durchdringende Warnruf meiner Mutter, allerdings mit einer Vehemenz, mit der man auch auf einen sprengstoffumgürtelten Selbstmordattentäter oder ein brennendes Triebwerk aufmerksam gemacht hätte.

Oma: „Und Kinder, was ist denn das für ein Italiener, zu dem wir extra solange fahren mussten?“.
Vater: „Die ganze Hauswand. Hier, also einmal quer rüber. Auch nicht mehr gemalt, einfach nur ein Strich. Eine a – b – s – o – l –u – t - e Frechheit.“
Kinder (Wir): „Eigentlich ist es gar nicht weit. Wir waren da letztlich mal, der ist wirklich ganz gut. Die Pizzen sind lecker...
Mutter: „ACHTUNG H.!!!“
Wir:"...und hausgemachte Nudeln, die..."
Vater: Und da, wieder einer ohne Stern!“

In Friedrichshain hatte es ihnen überhaupt nicht gefallen, und bei dem von uns empfohlenen Italiener auch nicht. Nicht mal Tischdecken hatte der aufgelegt, was für meine Oma ein absolutes Ausschlusskriterium bedeutet. Seitdem keine Experimente mehr!

Für ähnlich problematische Fälle: Lutter & Wegner am Gendarmenmarkt, dort kann man in den Seitenstraßen auch an einem Sonnabend sehr gut parken. Das KDW mit angrenzendem Parkhaus. Das Restaurant 31 in der Bleibtreustraße in Charlottenburg. Die Parkplatzsituation ist da nicht ganz so entspannt, doch lässt die Vorfreude auf das hervorragende und ausgezeichnete Essen jeden Schmerz unter den Tisch fallen.

Chinaski - 6. Mär, 22:22

Ich muss sagen dass deine Eltern grad das klügste machen wenn sie vom Berlin fernbleiben oder du führst sie das nächste mal aus nach Dahlem oder zumindest nach Steglitz! Und wenn danach immernoch...

Bunbury - 14. Mär, 02:03

Dahlem oder Steglitz? Nee, nee, also wirklich nicht, da müsse meine Eltern in den sauren Apfel beißen und sich in Mitte weiterhin einen Parkplatz suchen.
Au-lait - 7. Mär, 15:19

Bei solch hervorragenden Parktipps, in einen bombigen Text verpackt, sind diese Park-Geheimtipps sicher bald auch überfrequentiert. :) Wie gut, dass ich kein Auto habe.

arboretum - 8. Mär, 22:03

Schöne Flaschenreihe haben Sie da jetzt. Ob ich wohl etwas zu trinken haben könnte? Mir ist jetzt gerade nach einem Cocktail, irgendwas mit Erdbeeren wäre nett. Nur wenig Eis, bitte.

Gibt es in Berlin eigentlich auch Politessen, die um kurz vor Mitternacht herumspazieren und alle aufschreiben, die die Anwohnerparken-Schilder ignoriert haben?

Bunbury - 14. Mär, 01:59

Sie sind herzlich eingeladen, die Bar gehört Ihnen!

"Politessen, die um kurz vor Mitternacht?"...,nein. Würde da nicht sogar noch ein Nachtzuschlag fällig? Doch nicht in Berlin, dafür hat die Stadt kein Geld.
arboretum - 14. Mär, 10:44

Oh, Danke sehr. Jetzt ist es allerdings noch ein bisschen zu früh zum Trinken.

Hier in der Gegend stellen sie die Politessen extra ein, weil es sich rechnet. Die Kosten tragen sich selbst, und es bleibt immer noch genug Geld für die Stadtkassen übrig. Funktioniert natürlich noch viel besser, wenn man vorher genug Anwohnerparkzonen ausgewiesen hat.
bw - 9. Mär, 12:36

Absolut empfehlenswert, nicht gerade für Eltern und ähnliche Spiezen, ist die Scene-Pizzeria I DUE FORNI in der Schönhauser Allee 12.. Sie wird von ehemaligen italienischen Punks betrieben. Darunter kann man sich Nichts vorstellen, daher: Hingehen!!
Mein persönlicher Tipp - Pizza Buffalo

Grüße von einem Flüchtling

PS: Und beim nächsten Besuch solltet ihr einfach mal nach Kladow fahren. Das ist 100% elternkompatibel.

Bunbury - 14. Mär, 01:49

Nach unzähligen Empfehlungen habe ich es letzten Sonntag endlich geschafft, die Pizzen sind in der Tat sehr gut.

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