Mittwoch, 15. März 2006

AC/DC und Richard Wagner und Tristan und Isolde

Ich bin kein Wagner-Fan, ganz und gar nicht, und genau genommen gab es bei einem Zusammentreffen mit eingefleischten Wagnerianern bisher immer Ärger. Natürlich sollte einzig und allein die Musik im Vordergrund stehen, und das Werk und die Person differenziert betrachtet werden. Werk und Künstler, die Auseinandersetzungen darüber sind bekannt. Auf die Bücher von Céline hätte ich persönlich auch nur ungern verzichten mögen, obwohl die Person nun Anlass genug zur Meidung böte.

Bei Wagner war es für mich zunächst aber sehr einfach, denn ich kannte die Musik nicht sonderlich gut, im Großen und Ganzen beschränkte sich meine Kenntnis auf den Walkürenritt, und die Person Wagners lässt nun mal einfach keinen Spielraum für Positives, da ist die Marschrichtung bei diesem Thema klar und von vornherein auf Krawall angelegt.

Die Aussage, dass Wagner als AC/DC der Klassik zu betrachten sei, nur eben nicht ganz so harmonisch, hat meistens schon genügt, um die Stimmung zu kippen. Natürlich wurde mir vorgeworfen, ein Urteil nur aufgrund eines mir bekannten Stückes zu fällen, und ich so niemals dem facettenreichen Werk des Meisters...Natürlich hatte ich in ein paar andere Sachen reingehört, kurz nur, aber es hörte sich alles gleich an. „Kennst´e eines kennst´e alle!“, dachte ich, was im Übrigen eine weitere Parallele zu AC/DC gewesen wäre.

Meine Assoziationen zu Wagner ergaben sich hauptsächlich aus Filmen, die sich mit dem Klang des Walkürenritts auf ewig in mein Gedächtnis gebrannt zu haben schienen. Unvergesslich die Szene aus „Apokalypse Now“, in der Hubschrauber zu dem Ritt der Walküren ein Dorf in Schutt und Asche legen. Sobald auch nur die ersten Töne jener Reiterei mein Ohr erreichen, steigen diese Hubschrauber vor meinem geistigen Auge auf. Wirklich schlimm für mich war aber die Assoziation zum Dritten Reich, mit der Folge, dass ich bei dieser Musik oftmals an die Nazis denken musste, an jene Zeit Deutscher Geschichte, die mich an einen Abgrund des Unbegreiflichen drängt.

Es ist schon einige Zeit her, da bot sich mir jedenfalls die Möglichkeit, eine eingehendere Erfahrung hinsichtlich der Musik Wagners zu machen. Und so hatte ich mir, trotz der hohen Wahrscheinlichkeit einer bitteren Enttäuschung, Karten im Rahmen der Wagner-Festspiele unter Daniel Barenboim in Berlin für Tristan und Isolde besorgt.

Von der Berliner Staatsoper Unter den Linden selbst war ich schon immer begeistert. Ein schönes und ansprechendes Opernhaus. Das alles klingt natürlich irgendwie albern. Schließlich ist und sollte es doch völlig egal sein, wie ein Opernhaus aussieht. Für mich ist es allerdings wichtig, denn ein Opernhaus muss Ausstrahlung besitzen, eindrucksvoll sein, einen gewissen Flair verbreiten. Die Deutsche Oper in Charlottenburg hingegen werde ich daher nie betreten. Sie wirkt geradezu ekelig, unästhetisch, absurd hässlich, kalt, dreist, gefühllos, spießig, langweilig, müde, billig, würdelos und überhaupt völlig ohne Flair. Das Wort „Opernhaus“ ist in diesem Zusammenhang im Übrigen überhaupt grotesk, es ist eine Bausünde schlechthin. Ein Abriss könnte da viel zu einem harmonischen Gesamtkonzept der Stadt beitragen. Da wurde immer der souveräne Palast der Republik bemäkelt. West – Berlin macht mir da mehr Sorgen. Wer will schon zum Ku'damm, auch dort können Verbesserungen vorgenommen werden, und die Deutsche Oper fleht doch geradezu nach der Abrissbirne. Der Gesichtspunkt der Kostenersparnis für Berlin sei hier auch nur am Rande erwähnt.

Das Publikum war zu meiner Überraschung überwiegend international. Ich hatte zunächst Angst, auf ein Sammelsurium deutscher Herren zu stoßen, die die ganze Zeit über den Krieg reden würden und auch so aussähen, als hätten sie einen beträchtlichen Teil dazu beigetragen. Unglaublich viele Asiaten und Engländer waren anwesend. Ich vernahm eigentlich nur englische Sprache. Den Satz: „Don´t mention the war“, konnte ich leider nirgends aufschnappen

Neben mir saß ein englisches Ehepaar aus London. Leider hatte der gute Herr das EDT Knize Ten verwendet. Der Geruch ist an sich ganz angenehm, doch besteht die Schwierigkeit darin, die richtige Dosierung zu finden. Das gilt selbstverständlich für alles, doch ist es hier ganz besonders verhängnisvoll. Bereits wenige Tropfen reichen nämlich völlig aus. Der Flakon des Engländers, das kann ich mit Bestimmtheit sagen, hatte einen Sprühverschluss, und den betätigte er auch mehr als einmal, und zwar erst kurz vor seinem Aufbruch in die Staatsoper. Ich saß in Reihe 12 im Parkett. Bei vorsichtiger Schätzung nehme ich an, dass die Reihen 5 - 18 den Duft ebenfalls in einer sehr intensiven Form genießen durften, und zwar von 16.00 bis 22.00 Uhr. Aber da gewöhnt man sich ja auch dran. Trotzdem, diese mangelnde Rücksichtnahme, ich verzehre ja auch keinen Knoblauchdöner, bevor ich in die Oper gehe, da wäre das Geschrei dann wieder groß gewesen.

Aber dann, schon die ersten Klänge der Ouvertüre zu Tristan und Isolde ließen mich alles andere um mich herum vergessen. Das war und ist mit Abstand die beste Ouvertüre, die ich bisher hörte. Es war einfach überwältigend. Ich schloss die Augen und ließ mich einfach fallen und treiben. So unglaublich viel Gefühl, alles war darin enthalten. Liebe, Verzweiflung, Raserei, Vergebung, Tod. So zog es sich weiter, die ganze Oper ist ein Genuss, ich hätte im Traum nicht daran gedacht, jemals von einem Stück von Wagner, vielleicht überhaupt von einer Oper, derart berührt zu werden, eine unglaubliche Erfahrung. Es war eine zarte und harmonische Inszenierung, ganz anders als der Krawall, den ich sonst mit Wagner verband.

Drei Tage später ging ich wieder hin und schaute die Götterdämmerung, die mir gut, aber nicht annährend so gut wie Tristan und Isolde gefallen hat. Die Hubschrauber erschienen natürlich bei den Klängen des Walkürenritts, von meinen anderen Befürchtungen blieb ich zum Glück verschont. Obwohl ich mich letztlich in diesem Zusammenhang immer wieder Frage, warum ich nicht mehr an die Nazis denken muss, wenn ich Wagner höre, keine wirkliche Erleichterung. Dieser gedankliche Kreislauf wird nun leider auch mit Wahrnehmung des Geruchs von Knize Ten in Gang gesetzt.

Demnächst wird Tristan und Isolde in der Staatsoper wieder aufgeführt. Besorgen Sie sich Karten!

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