AC/DC und Richard Wagner und Tristan und Isolde

Ich bin kein Wagner-Fan, ganz und gar nicht, und genau genommen gab es bei einem Zusammentreffen mit eingefleischten Wagnerianern bisher immer Ärger. Natürlich sollte einzig und allein die Musik im Vordergrund stehen, und das Werk und die Person differenziert betrachtet werden. Werk und Künstler, die Auseinandersetzungen darüber sind bekannt. Auf die Bücher von Céline hätte ich persönlich auch nur ungern verzichten mögen, obwohl die Person nun Anlass genug zur Meidung böte.

Bei Wagner war es für mich zunächst aber sehr einfach, denn ich kannte die Musik nicht sonderlich gut, im Großen und Ganzen beschränkte sich meine Kenntnis auf den Walkürenritt, und die Person Wagners lässt nun mal einfach keinen Spielraum für Positives, da ist die Marschrichtung bei diesem Thema klar und von vornherein auf Krawall angelegt.

Die Aussage, dass Wagner als AC/DC der Klassik zu betrachten sei, nur eben nicht ganz so harmonisch, hat meistens schon genügt, um die Stimmung zu kippen. Natürlich wurde mir vorgeworfen, ein Urteil nur aufgrund eines mir bekannten Stückes zu fällen, und ich so niemals dem facettenreichen Werk des Meisters...Natürlich hatte ich in ein paar andere Sachen reingehört, kurz nur, aber es hörte sich alles gleich an. „Kennst´e eines kennst´e alle!“, dachte ich, was im Übrigen eine weitere Parallele zu AC/DC gewesen wäre.

Meine Assoziationen zu Wagner ergaben sich hauptsächlich aus Filmen, die sich mit dem Klang des Walkürenritts auf ewig in mein Gedächtnis gebrannt zu haben schienen. Unvergesslich die Szene aus „Apokalypse Now“, in der Hubschrauber zu dem Ritt der Walküren ein Dorf in Schutt und Asche legen. Sobald auch nur die ersten Töne jener Reiterei mein Ohr erreichen, steigen diese Hubschrauber vor meinem geistigen Auge auf. Wirklich schlimm für mich war aber die Assoziation zum Dritten Reich, mit der Folge, dass ich bei dieser Musik oftmals an die Nazis denken musste, an jene Zeit Deutscher Geschichte, die mich an einen Abgrund des Unbegreiflichen drängt.

Es ist schon einige Zeit her, da bot sich mir jedenfalls die Möglichkeit, eine eingehendere Erfahrung hinsichtlich der Musik Wagners zu machen. Und so hatte ich mir, trotz der hohen Wahrscheinlichkeit einer bitteren Enttäuschung, Karten im Rahmen der Wagner-Festspiele unter Daniel Barenboim in Berlin für Tristan und Isolde besorgt.

Von der Berliner Staatsoper Unter den Linden selbst war ich schon immer begeistert. Ein schönes und ansprechendes Opernhaus. Das alles klingt natürlich irgendwie albern. Schließlich ist und sollte es doch völlig egal sein, wie ein Opernhaus aussieht. Für mich ist es allerdings wichtig, denn ein Opernhaus muss Ausstrahlung besitzen, eindrucksvoll sein, einen gewissen Flair verbreiten. Die Deutsche Oper in Charlottenburg hingegen werde ich daher nie betreten. Sie wirkt geradezu ekelig, unästhetisch, absurd hässlich, kalt, dreist, gefühllos, spießig, langweilig, müde, billig, würdelos und überhaupt völlig ohne Flair. Das Wort „Opernhaus“ ist in diesem Zusammenhang im Übrigen überhaupt grotesk, es ist eine Bausünde schlechthin. Ein Abriss könnte da viel zu einem harmonischen Gesamtkonzept der Stadt beitragen. Da wurde immer der souveräne Palast der Republik bemäkelt. West – Berlin macht mir da mehr Sorgen. Wer will schon zum Ku'damm, auch dort können Verbesserungen vorgenommen werden, und die Deutsche Oper fleht doch geradezu nach der Abrissbirne. Der Gesichtspunkt der Kostenersparnis für Berlin sei hier auch nur am Rande erwähnt.

Das Publikum war zu meiner Überraschung überwiegend international. Ich hatte zunächst Angst, auf ein Sammelsurium deutscher Herren zu stoßen, die die ganze Zeit über den Krieg reden würden und auch so aussähen, als hätten sie einen beträchtlichen Teil dazu beigetragen. Unglaublich viele Asiaten und Engländer waren anwesend. Ich vernahm eigentlich nur englische Sprache. Den Satz: „Don´t mention the war“, konnte ich leider nirgends aufschnappen

Neben mir saß ein englisches Ehepaar aus London. Leider hatte der gute Herr das EDT Knize Ten verwendet. Der Geruch ist an sich ganz angenehm, doch besteht die Schwierigkeit darin, die richtige Dosierung zu finden. Das gilt selbstverständlich für alles, doch ist es hier ganz besonders verhängnisvoll. Bereits wenige Tropfen reichen nämlich völlig aus. Der Flakon des Engländers, das kann ich mit Bestimmtheit sagen, hatte einen Sprühverschluss, und den betätigte er auch mehr als einmal, und zwar erst kurz vor seinem Aufbruch in die Staatsoper. Ich saß in Reihe 12 im Parkett. Bei vorsichtiger Schätzung nehme ich an, dass die Reihen 5 - 18 den Duft ebenfalls in einer sehr intensiven Form genießen durften, und zwar von 16.00 bis 22.00 Uhr. Aber da gewöhnt man sich ja auch dran. Trotzdem, diese mangelnde Rücksichtnahme, ich verzehre ja auch keinen Knoblauchdöner, bevor ich in die Oper gehe, da wäre das Geschrei dann wieder groß gewesen.

Aber dann, schon die ersten Klänge der Ouvertüre zu Tristan und Isolde ließen mich alles andere um mich herum vergessen. Das war und ist mit Abstand die beste Ouvertüre, die ich bisher hörte. Es war einfach überwältigend. Ich schloss die Augen und ließ mich einfach fallen und treiben. So unglaublich viel Gefühl, alles war darin enthalten. Liebe, Verzweiflung, Raserei, Vergebung, Tod. So zog es sich weiter, die ganze Oper ist ein Genuss, ich hätte im Traum nicht daran gedacht, jemals von einem Stück von Wagner, vielleicht überhaupt von einer Oper, derart berührt zu werden, eine unglaubliche Erfahrung. Es war eine zarte und harmonische Inszenierung, ganz anders als der Krawall, den ich sonst mit Wagner verband.

Drei Tage später ging ich wieder hin und schaute die Götterdämmerung, die mir gut, aber nicht annährend so gut wie Tristan und Isolde gefallen hat. Die Hubschrauber erschienen natürlich bei den Klängen des Walkürenritts, von meinen anderen Befürchtungen blieb ich zum Glück verschont. Obwohl ich mich letztlich in diesem Zusammenhang immer wieder Frage, warum ich nicht mehr an die Nazis denken muss, wenn ich Wagner höre, keine wirkliche Erleichterung. Dieser gedankliche Kreislauf wird nun leider auch mit Wahrnehmung des Geruchs von Knize Ten in Gang gesetzt.

Demnächst wird Tristan und Isolde in der Staatsoper wieder aufgeführt. Besorgen Sie sich Karten!

Chinaski - 15. Mär, 23:25

Wagner ist immer so ne Sache. Er steht für mich für eine geballte Ladung dunkler Energien. Wenn die Stimmung dafür da ist, dann kann Wagner die Seele eines Menschen sehr gut erreichen. Wagner verkörper für mich Wahn, Grösse, Überdimensionalität. Als er noch lebte konkurierte er mit dem romantiker Brahms.

Ich übrigens liebe die Musik von Gusav Mahler. Einfach eine Klasse besser, tiefer und intelligenter als Wagners Musik.

Bunbury - 20. Mär, 18:32

Mahler ist mir allerdings auch noch zu dunkel. Beethoven ist mein Favorit.
Au-lait - 20. Mär, 23:39

Ich bin kein allzugroßer Freund von Komponistenranglisten und Pauschalvergleichen. An Kunstfertigkeit waren Mahler und Wagner beide famos, von der Kompositionsgeschicklichkeit und dem psychologischen Aspekt her halte ich Wagner gar für geschickter. Doch perfektes Handwerk macht nicht gleich auch perfektes Hörvergnügen. Ich mag auch die sehnsuchtsvolle, empfindsame und gottfürchtige Archaik Bruckners, die perlenden Arpeggien Chopins, die krude Nonchalance bei Satie, das Schimmern Débussys, die sensible Wucht bei Beethoven... mag Mahler tiefgehender sein (woran bemisst sich das?), ich mag beide, ich liebe Musik im Allgemeinen, unbenommen von Personen.
bw - 16. Mär, 14:21

gerade aber der osten berlins zeigt, dass es nicht ratsam ist nur nach äußerlichkeiten zu beurteilen und, wie du sie nennst, "bausünden" der modernen oder im bauhausstil zu verurteilen; wobei du doch den palast der republik auch nicht verschmähst... vor allem die vielen kleinen opernhäuser, hinterhof-theatereinrichtungen etc pp berlins zeigen was in ihnen steckt, ganz gemäß dem motto: außen pfui, innen hui! so hat eben die staatsoper zwar ein schönes, impulsantes (eben wie man sich so klassik vorstellt) und touristen-taugliches gebäude, nur leider handelt es sich bei der 'staatskapelle berlin' um ein orchester, welches in studio-aufnahmen zwar eindruck schindet, jedoch gegen das grandiose orchester der 'deutschen oper berlin', man muss es so sagen, live keine chance hätte. auf der anderen seite besitzt die staatsoper eines der besten ballett-ensembles der welt. dafür sind sie berühmt, das hat auch die deutsche oper eingesehen und leiht sich in regelmäßigen abständen ein paar tänzer aus..
und wenn dir zu charlottenburg als erstes der kudamm einfällt, solltest du ganz dringend deinen berliner horizont erweitern und 'west-berlin' (das sagt man aber eigentlich auch nicht mehr, weder der ossi, noch der wessi) nochmal besuchen. ;)

Modeste - 17. Mär, 15:03

Irgendwie muss man die sich optisch und atmosphärisch klar differenzierten Stadthälften doch auch sprachlich unterscheiden können, und so bleibt es dann bei Ost- wie Westberlin. Was die Deutsche Oper angeht, so gebe ich Herrn Bunbury aber recht: Die groteske Hässlichkeit dieses Gebäudes hat es auch mir bisher verboten, da jemals hinzufahren. Westberlin hat doch außerdem schon die wirklich gutaussehende Philharmonie, das reicht, finde ich, an imposanten baulichen Gehäusen für klassische Musik.
Au-lait - 19. Mär, 14:33

Sehr schöner Text. Und fein, zu beobachten, wie differenziertes Licht die starren Korsetts zerbröseln lässt. Ich halte die Ouvertüre des Tristan und "Isoldes Liebestod" darin für zwei der schönsten musikalischen Schöpfungen überhaupt, finde auch den Parsifal toll und die Tannhäuser-Ouvertüre, und doch quäle auch ich mich noch oft mit Wagners Musik. Seine kompositorische Meisterschaft ist überwältigend, doch trifft nicht sein gesamtes Werk meinen Geschmacksnerv. Anyway, genug salbadert. Noch einmal ein klarer Komplimentdaumen für den Text.

Bunbury - 20. Mär, 18:38

Stimmt, Parsifal hat mir auch gut gefallen. Mit dem fliegenden Holländer konnte ich hingegen gar nichts anfangen und vom Tannhäuser habe ich noch keine Note gehört. Danke.
smatthes - 23. Mär, 23:22

Kein Wunder. Du hast eins der großartigsten Werke in einem der besten Häuser gesehen. Schonmal über Bayreuther Festspiele nachgedacht?

Bunbury - 24. Mär, 17:15

Nachgedacht und sogar Karten bestellt, vor drei Jahren. Angeblich soll es durchschnittlich sieben Jahre dauern...

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