Donnerstag, 20. Juli 2006

Sympathy for the Devil

Irgendetwas tat sich dort vorne. Ein paar Gestalten huschten hinter dem Bühnenaufgang herum. Irgendein Typ hielt eine Gitarre an ihrem Gurt bereit, so dass man nur noch hineinschlüpfen musste. Dieses seltsame Gefühl, das ich nicht weiter beschreiben werde, aber immer Großartiges ankündigt, verstärkte sich und verschaffte mir eine Gänsehaut. Die Menge klatschte und jubelte, als plötzlich ein großer metallener Schlangenkopf Flammen ausspuckte, und sich Fackeln kurz zu einer Feuerwand am Rande der Bühne vereinigten. „If you start me up“, schrie jemand, der in einem langen roten Mantel aus den Rauchschwaden erschien. Die mir vor Beginn des Konzertes noch überproportional erscheinende Bühne bot dem Sänger tatsächlich gerade mal genug Auslauf. Er sprang, rannte, erkundete jeden Zentimeter der riesengroßen Bühne. Diese unglaubliche Energie - mehr als nur Attitüde, es war ernst, war Lebenselixier, übertrug sich auf das Publikum, und ich war fassungslos begeistert. Nach viel zu kurzer Zeit verschwand dieses Ereignis, wie es gekommen war: Im Rauch eines abschließenden Feuerwerkes, die Euphorie blieb.

Mein Abitur lag noch Jahre entfernt, als ich zum ersten Mal 1989 diese Band live spielen sah.

Nur widerstrebend ließ mich mein Vater überhaupt zu diesem Konzert: „Was, die spielen noch? Geh´da bloß nicht hin! Da sind immer ganz komische Leute auf diesen Rockkonzerten. Lass Dir keine Drogen andrehen. Der Sänger von der Gruppe ist übrigens sehr seltsam. Zieht immer ganz komische Klamotten an und steckt sich das Mikrofon vorne in die Hose“, erklärte mein Vater, der früher die Beatles gehört hatte und Platten jener Herren aus Überzeugung vermied. Mein Vater erzählte von seiner Jugend, von seiner Musik, während er seinen Sohn mit dem Auto zu jener Band brachte, die seine Generation in jungen Jahren nicht unwesentlich beeinflusst hat. Und schließlich sogar seinen Sohn noch aus seiner musikalischen Apathie erwecken konnte.

Gleich am nächsten Tag rannte ich los, kaufte mir eine Handvoll Schallplatten, um alle Lieder des Abends noch einmal hören zu können. „Na da hast´e die ja noch mal gesehen“, sagte der Plattenverkäufer zu mir. „Die kommen bestimmt nicht wieder, so zittrig, wie Keith Richards die Gitarre gehalten hat.“ Zu Hause drehte ich die Anlage meines Vaters auf und hörte meine frisch erworbenen neuen alten Platten. Dazu schnappte ich mir ein Mikrofon und spielte das Konzert nach. Machte diese Gesten, tobte durch das Wohnzimmer, bis ich mich völlig erschöpft auf dem Boden niederließ. Ich hatte nicht mal die Hälfte des Konzertes geschafft. Mick Jagger, der so alt wie mein Vater ist, hatte offensichtlich wesentlich mehr Kondition als wir beide zusammen. Ich besorgte mir Artikel, Bücher und verfolgte musikalisch jeden Namen, den ich im Zusammenhang mit den Rolling Stones irgendwann, irgendwie vernahm. So fand ich Jimi Hendrix, Iggy Pop, David Bowie, Lou Reed, The Clash und begann Musik als ständigen Begleiter zu instrumentalisieren. Als Freund, als Schwert, als Argument und als Straße für Träume.

Siebzehn Jahre sind seitdem vergangen, und sie sind doch wiedergekommen. Zum fünften Mal werde ich sie am kommenden Freitag sehen. Hier in Berlin, die Glimmer Twins. Zu ihrem „A Bigger Bang“ im Olympiastadion. Gerne würde ich sie in einem kleinen Club auftreten sehen, was sie während ihrer Touren ja immer wieder tun. Ich bin bis heute nicht dahintergekommen, wie an solche Karten ranzukommen ist. Allerdings macht es auch keinen großen Unterschied. In diesen siebzehn Jahren ist zwar unglaublich viel passiert, doch Jagger wird das tun, was er immer tut, so oder so. Er ist immer noch so alt wie mein Vater und unsere Fitness wird der Jagger'schen immer noch um Jahre hinterher hinken. Das Konzert wird wieder eine Steigerung des bisher Dagewesenen sein, und am Ende wird der Rauch durch das Stadion wehen.

Warum machen sie das? Weil sie es können, und es sonst kein anderer machen kann? Weil Jagger sehen möchte, wie wohl eine Milliarde auf seinem Kontoauszug aussehen mag? Weil sie einfach Spaß dabei haben und sich sonst langweilen würden? Weil sie sich auf der Bühne wirklich jung fühlen und das unvermeidliche Ende verdrängen können? „Weil wir wissen wollen, wie lange wir diesen Zirkus noch treiben können?“, wie es Keith Richards mal ausdrückte? Weil die Suche nach Befriedigung immer noch nicht zu Ende ist?

„God Gave Me Everything I Want“, rockt Jagger auf einem seiner Soloalben, und vielleicht tut er auch nur einfach das, was er immer gewollt hat. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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