Montag, 3. Juli 2006

Durchzug

Letzte Woche hatte ich die Maler bei mir. Der Eigentümer war leider zu der Auffassung gekommen, dass die Fenster einen neuen Anstrich benötigen. Ich fand das schade, da der original Lack dieses Jahrhundertwende Hauses einen gewissen morbiden und ansprechenden Altbaucharme in mir auslöste. Die ursprüngliche Farbe war zwar nur sehr vereinzelt und recht spärlich an den sonst abgeplatzten Holzrahmen vorzufindenden, aber immerhin.

Pünktlich um 8.00 kamen die Maler in meine Wohnung und inspizierten die ihnen gestellte Aufgabe. „Scheiße, die Dinger sind ja völlig im Arsch. Das wird heut´ nix mehr“, und zu mir gewandt: „Also, das tut uns leid, aber da müssen wa morgen noch´ ma ´nen Termin ausmachen. Wir müssen die Fenster aushängen, schmirgeln und noch ´ma rüber. Ham´ se morgen Zeit, wieder so um achte?“ „Na, klar!“, was blieb mir auch anderes übrig.

„Kann ich mal ihr Klo benutzen?“, fragte einer der Beiden. „Sicher“, dabei überlegte ich, ob es wohl tatsächlich Menschen gibt, die Handwerkern die Benutzung der Sanitäranlagen versagen. „Nee Jungs, sorry, habe ich nicht so gern. Aber fragt doch gegenüber, mein Nachbar ist eigentlich ein ganz netter Typ“.

Der Maler machte sich auf. „Dauert aber ´nen bisschen länger“, erläuterte er halb fragend und schaute mich an, ob ich nicht doch noch Einwände hätte. „Ist schon gut“, erwiderte ich und hoffte, von weiteren Informationen verschont zu bleiben. „Kann ich auf Ihrem Klo rauchen“, ich schaute zur Tür und sah nur den Kopf des Malers, der sich sichtlich über eine bejahende Antwort freuen würde. Mein „Ist mir egal“, lies ihn im Badezimmer verschwinden. „Ey, das ist ja geil, die Wände total verkorkt“, scholl es durch die geschlossene Tür, danach war Ruhe. Nur der ätzende Qualm eines Zigarillos verteilte sich gleichmäßig in der Wohnung. Zigarilloqualm morgens um 8.20 ist natürlich hart. Zigarette geht ja noch aber Zigarillos? „Eine Zigarette ja, einen Zigarillo nein“, wäre hier die richtige Antwort gewesen. Der Qualm blieb dafür aber nicht besonders lange, weil der Kollege damit beschäftigt war sämtliche Fenster auszuhängen und auf dem Flur zu stapeln. Mich interessierte dabei besonders, wie es den Jungs möglich sein würde die ganzen doppelverglasten Fenster, ohne nähere Kennzeichnung, wieder an der richtigen Stelle einzuhängen. Ich hatte das schon mal erlebt und die damaligen Veranstalter hatte Aufkleber angebracht, auf denen Floskeln wie „außen Links“, „innen Links“, „oben außen rechts“ standen. Das ganze hier würde wahrscheinlich auf ein Trial and Error hinauslaufen. Gegen neun waren tatsächlich alle Fenster ausgehängt. Als der Kollege von der Toilette kam, war der auch überrascht und lobte seinen Kumpel.

„Auf´m Klo is´ erstma´ Sperrzone“, sagte der zu mir, „aber sicher nicht lange, ich häng´ noch schnell das Fenster aus, hier is ja ganz gut Durchzug. Da ham´se aber Glück, dass jetzt so schönes Wetter is, wa?! Bei den ganzen offenen Fenstern. Wir machen dann jetzt auch ma´ kurz Frühstück, ne, und sind inner halben Stunde wieder da.

„Sind Sie Freiberufler?“, versuchte der Gesprächige von den Beiden wieder einen kleinen Plausch aufzunehmen, nach dem sie nach einer Stunde Frühstück wieder bei mir erschienen. „Nein“, meine Antwort schien ihm schon zu reichen. „Wenn ich das Haus hier fertig habe, dann hör ich auf, habe die Schnauze voll. Seit einem halben Jahr streiche ich nur Fenster, das ist ein Scheiß. Wenn mal ´ne Wand zwischendurch dabei wäre, aber immer nur Fenster. Der letzte Scheiß“.

„Schönen Verstärker haben Sie da, ich bin ziemlich Technik interessiert“, fuhr der Maler fort. „Schon ein älteres Modell, aber gut. Wie viel Watt hatten der?“ Handwerker im Haus kann manchmal wirklich anstrengend sein. „Keine Ahnung“, sagte ich, weil ich keine Ahnung hatte. „Na, Watt ist auch nicht wichtig. Totaler Quatsch. Wichtig sind die Frequenzen, Sinus und so. Und Boxen sind wichtig, da brauchen Sie bis acht Ohm, alles andere ist Mist. Habe für meine Tochter gerade Boxen gekauft. Bei Ebay. Da gibt´s tolle Sachen. So richtig High End, 12.000 DM, haben die Teile mal gekostet. Hab´ ich 1200,- Euro für gezahlt. Das wummst richtig. Die besten Boxen wurden in den Siebzigern gebaut. Für ihren Verstärker bekommen Sie aber nicht mehr viel. „Haste doch in `ner Mietwohnung überhaupt nix von“, schaltete sich zum ersten mal der andere Kollege in das Gespräch ein, „kannste doch überhaupt nicht nutzen, da haste doch gleich die Nachbarn an´ner Backe.“ Der Kollege überging den Einwand und richtete sein Interesse wieder auf meinen Verstärker. „Wollen ´se den nicht verkaufen?“ - „Aber dann habe ich ja keinen mehr.“ „Dann kaufen Sie sich bei Ebay einen neuen, da gibt es wirklich gute Teile.“ „Ich finde meinen Verstärker ganz gut und werde ihn behalten“, stellte ich fest.

„Haben Sie andere Elektrosachen, die `se vakoofn wolln?“
„Nein! Da habe ich auch jetzt überhaupt keine Zeit für, ich ziehe nächste Woche um und muss den ganzen Kram in den nächsten Tagen in eine andere Wohnung bringen. Erstmal die ganzen Elektrosachen, da werde ich doch vor dem Umzug keine neuen kaufen.

„Gefällt Ihnen nicht mehr hier am Prenzlauer Berg?“
„Doch, ich bleibe auch hier, nur ein paar Straßen weiter.“
„Wohin?“
„Ach, hier die Straße runter“.
„Ach so.“

Der Gesprächige widmete sich den Fensterrahmen als er zum nächsten Themenbereich überging. „Sind geile Weiber hier, wa? Also Frauen, sach ich jetzt ma´.“
„Ja, hier sind schon sehr viele auffallend hübsch“, pflichtete ich bei.
„Hier ist eben eine vorbei gelaufen, Wahnsinn. Von hier oben habe ich aber auch einen geilen Blick, so von hier oben runter. Da kann man ganz schön was sehen. Das ist schon ´ne andere Ecke hier. Die ziehen sich schon anders an. Da habe ich einen ganz anderen Stil, so von den Klamotten her. Ich glaube, dass würde nicht passen, aber geil sind die ja schon. Wie macht man das?“
„Was?“
„Na, mit den Frauen hier? Einfach anquatschen?
„Wäre sicher ´ne Möglichkeit. Ich wünschte es gäbe ein Patentrezept.
„Patentrezept?“
„Patentrezept!“

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