Dienstag, 14. März 2006

Winter – Schaschlik – Depression?

Gestern überkam mich ein seltsames Verlangen und hält immer noch an. Eine gewisse Gier drängt nach Befriedigung. In dieser Form hatte ich das seit mindestens fünfzehn Jahren nicht mehr erlebt: Ich habe nämlich richtig Lust auf ein Schaschlik. Genau, so ein schäbiges Schaschlik. Eigentlich esse ich ja überhaupt kein Schweinefleisch mehr, aber für so ein Schaschlik würde ich jetzt und hier tatsächlich eine Ausnahme machen, weil ich da einfach wahnsinnige Lust zu habe. Und dabei meine ich nicht so ein rohes Schaschlik vom Fleischer zur Selbstzubereitung, nein, sondern ein in einer scharfen Soße seit Stunden verharrendes, schon fertiges Schaschlik. Wo gibt´s das hier in Berlin überhaupt? - Nachher werde ich mal zu Konopke rüberflitzen, das wäre doch sicherlich eine Möglichkeit.

Schaschlikspieße haben sich ja ziemlich rar gemacht und liegen irgendwie nicht mehr im Trend. In den Achtzigern, da gab es doch in jedem Imbiss, der Currywurst anbot, auch Schaschlik, aber jetzt, wenn man mal eines braucht, ist keines da. Notfalls führe ich dafür auch nach Charlottenburg, jedoch nicht nach Köln, wo es, wie ich gestern erfuhr, die besten Schaschliks geben soll. Aber das halte ich auch für übertrieben, gut, wenn man ohnehin in Köln ist, aber so?

Im alten West-Berlin gibt es bestimmt irgendwo Schaschlik. Vielleicht am Bahnhof Zoo?
Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen, weil mir der blöde Schaschlikspieß nicht aus dem Kopf ging. Jetzt schreibe ich auch noch darüber, das hätte ich mir auch nicht träumen lassen, und dazu musste ich mich auch noch die ganze Nacht kratzen, weil ich zuvor in einer Bar einen Hund streichelte und dazu behauptete, dass wir jetzt bestimmt Flöhe bekämen. Das führte soweit, dass sich meine Begleiterin auch ständig kratzen musste. Ich bin ja grundsätzlich offen für Symptome der verschiedensten Krankheiten und erkenne sie auch sehr schnell, ja, da macht mir keiner was vor, und insofern war mir schon klar, keinen Floh zu haben, aber ein derartiges Kratzverlangen hatte ich wirklich selten.

Angesichts dieser Schaschlikvorstellung hätte ich auch mal wieder Lust zu grillen. Früher hatten wir mal eine Grillphase, mein Studienkollege C. und ich. Der C. hatte eine riesige Dachterrasse, auf der saßen wir und grillten, meistens in großer Gesellschaft und das fast jeden Tag, es war schon ekelhaft, aber wir hatten dafür auch immer Biofleisch von unglaublich glücklichen Tieren gekauft.

Einmal wollte ich den C. morgens zur Uni abholen und betrat durch die bereits offene Tür die Wohnung. Ich fand den C. auf der Dachterrasse über den Grill gebeugt vor. Rauchschwaden zogen auf. „Ich grill’ mir gerade was zum Frühstück, willst du ´ne Wurst oder ein Nackensteak“, rief der C. mir zu, während er mit einem Skript „BGB – Leichtgemacht“ weiter die Kohlen anfächelte. Es muss damals kurz vor 10.00 Uhr gewesen sein. Der Tag war gelaufen, denn morgens in der Uni in völlig verräucherten Klamotten zu erscheinen war einfach undenkbar.

Irgendwann, an einem Tag im Spätsommer, da war es dann soweit. Der C. versuchte verschiedenste Male ohne Erfolg, den Grill zu entfachen. Wie das so ist in großer Runde, musste sich der C. bei seinem vergeblichen Mühen, einige Frotzeleien anhören. Schließlich verließ der C. die illustre Runde und zog sich ein wenig beleidigt ins Innere seiner Wohnung zurück. Ein merkwürdiger, geradezu lächerlicher Abgang, dass mag sich auch der C. gedacht haben, schließlich war das hier sein Revier, und so erschien er kurzerhand wieder auf der Bildfläche. „ICH GRILL NICHT MEHR“, schrie er, trat den noch fleischlosen Grill um und zog sich erneut in seine Wohnung zurück. Der C. hatte die Grillphase auf die ihm eigene Art und Weise für beendet erklärt.

Die verstreute Kohle und der umgekippte Grill verzierten noch einige Tage die Fliesen der Dachterrasse, bevor sich dichter Regen gemeinsam mit den ersten einsetzenden Herbstböen jenen Überbleibseln der vergangenen Wochen annahm. Es war ein seltsames Bild, wie wir da schweigsam saßen und doch alle ahnten, dass es nicht nur die Holzkohle war, die es dort in die Regenrinne spülte, sondern sich in diesen schwarzen Schlieren auch die friedliche Unbekümmertheit eines vergangenen, gemeinsamen, unbeschwerten und glücklichen Sommers befand. Uns wurde bewusst, dass diese absolute Freiheit, von der diese verrückte Grillerei nur einen belanglosen Ausschuss darstellte, nur eine vorübergehende Illusion war. Einfach tun zu können, was man möchte, wann man es möchte. Diese absolute Verantwortungslosigkeit, diese Leichtigkeit des Seins. Das es sich dabei nur um einen kleinen Lebensabschnitt handelt, und der Ernst des Lebens kommen wird, ob nun früher oder später, aber man näherte sich ihm, mit jedem Atemzug ein kleines Stückchen.

Nein, eigentlich möchte ich kein Schaschlik, nicht wirklich. Ich möchte in der Sonne sitzen, unter einem blauen Himmel, jetzt. Vielleicht auf jener Dachterrasse mit all jenen, ganz ohne Ernst, nur für einen Tag.

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