Sonntag, 15. Januar 2006

Samstagnacht

Manchmal wird es zuviel, wenn die fremden Stimmen im Kopf regieren, und alle Verbindungen gekappt sein wollen. Es zieht einen raus in die Nacht, in der Hoffung etwas zu finden, obwohl man doch gar nicht weiß, was zu suchen ist und nur ein an der Oberfläche schemenhaft aufklingendes Gefühl erahnen lässt, das es so nicht mehr lange weiter gehen wird und kann. Eine Lösung, einen Weg, um zu verhindern, dass sich dieser an der Oberfläche festgebohrte Tentakel vollständig nach oben zieht, und sich schließlich wie ein Orkan das entlädt, was an jenem Haken münden mag und jeglichen bisherigen Halt in die Lüfte hebt, um diesen schlussendlich in ein unlösbares Puzzle zu zerschmettern.

Sehr kalt ist es wieder geworden, der ausgestoßene Atem erzeugt mächtige Nebelschwaden, die gen Himmel steigen. Die Lichter der Laternen spiegeln sich im Kopfsteinpflaster der vom Nieselregen bedeckten Straßen. Hallende Schritte, lachende Menschenmassen, die in die Bars um den Helmholtzplatz herum trotz der Kälte einfallen, als gäbe es kein Morgen mehr. Alle haben sich vorgenommen, einen schönen Abend zu verleben, mag es ihnen gelingen. Ich weiß nicht wohin ich soll, jetzt schon gar nicht, und verbleibe schließlich nach einer Umrundung des Platzes im „EKA“, einem sehr angenehmen und lockeren Ort zum Verweilen. Hier gibt es das portugiesische „Super Bock“, das ich während des Studiums oft mit meiner damaligen Freundin getrunken habe, in einer anderen Stadt, in einer anderen Zeit, und eigentlich war es auch eine andere Welt. Natürlich ist der Laden genauso voll wie die anderen auch. „Ein Super Bock und eine Zigarette“, die Bedienung kennt mich, doch hat sie leider keine Zeit, sich zu unterhalten, ständig ist was.

So sitze ich außen an der Bar auf einem Hocker und trinke zügig mein Bier. Neben mir sitzt ein Typ, mir den Rücken zugewandt, und unterhält sich mit einer Frau. Ich kann nur ihre Stimme hören, trotz der Musik ist sie klar und deutlich zu verstehen. Weich und sanft klingt sie, wirkt dabei sehr munter, ihre Betonung ist sehr süß und lässt in meiner Vorstellung eine sehr attraktive Frau entstehen. Zum Glück erzählt sie die ganze Zeit. „Zahlen“, sage ich und war tatsächlich überrascht, wie das durch die Stimme entwickelte Bild der Frau mit der Realität im Einklang steht, sie passt wirklich gut zu ihr. Ein guter Cocktail wäre jetzt wünschenswert, also ins „Fluido“, meiner liebsten Cocktail Bar. Eine elegante, gemütliche Bar. Schwere Ledersessel und roter Samt an den Wänden, bestimmen das Bild. Die Cocktails überzeugen sogar am Wochenende, wenn es besonders voll ist, durch gleichbleibend gute Qualität. Die Bar wird von einem netten Publikum besucht. Was das genau bedeutet, kann ich nicht definieren, es ist einfach eine angenehme Atmosphäre, überwiegend jedenfalls, und das sogar ebenfalls am Wochenende. Sieben Minuten gehe ich dorthin, dass habe ich mal gestoppt. Auf meinem Weg sind viele Fenster hell erleuchtet, trautes Heim, Glück allein. Den Klang ihrer Stimme, noch habe ich ihn im Kopf. „An der Danziger Straße möchte ich nicht wohnen“ erzählt sie, „die ist sicher für die Anwohner hier viel zu laut, vier Spuren und im Sommer sicherlich eine Katastrophe, da kann man doch kein Fenster aufmachen.“ „Erzähl weiter“, denke ich zu der Stimme, „bitte weiter“. Die Stimme begleitet mich schließlich nur noch ein kurzes Stück, und ihr Klang verblasst zunehmend in meinen Erinnerungen. Sie verebbt vollends, als sie sich an der zu passierenden Videothek über die billigen Ausleihgebühren von einem Euro äußert, und was das noch früher gekostet habe. Nicht unbedingt der schlechteste Zeitpunkt, am Ende wäre es noch auf einen ersten Streit hinausgelaufen.

Das „Fluido“ ist natürlich auch voll. Um die Bar betreten zu können, muss an der schwarzen, schweren Eingangstür geklingelt werden; in meiner langen Zeit als Besucher dieser Bar habe ich noch nie erlebt, das die Tür für einen Klingelnden verschlossen geblieben wäre. „Hallo“, sage ich und gehe hinein. Ein Sessel ist noch unbelegt, aber ich möchte mich nicht zu der Gruppe setzen, die die übrigen Polster in Beschlag genommen hat.

An der Bar ist es auch sehr eng, und ich muss mich irgendwo dazwischen drängeln, was soll man machen. Die Karte ist hier unglaublich umfangreich. „Eine Italian Colada und eine Shepard mit Filter“, rufe ich dem Barmann zu. Zweier- und Dreiergruppen, viele hübsche Frauen, alle in Begleitung. Eigentlich ist es wie immer. Es ist immer wie immer. Silvester wurde ich gefragt, ob ich für 2006 einen besonderen Wunsch hätte. Mir fiel nichts ein, nur eine dumme Antwort. Bin ich wunschlos?

Wie fühlt man sich überhaupt, wenn man wunschlos glücklich ist? Keine Wünsche mehr zu haben, wäre das nicht eher traurig? In dieser Welt gibt es nur zwei Tragödien. Die eine ist, nicht zu bekommen, was man möchte, und die andere ist, es zu bekommen... Wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann wünsche ich mir, bis zum Ende des Jahres eine Antwort auf diese Frage zu finden, gar nicht die Anmaßung der Erfüllung selbst, nur die Benennung, wenigstens eine Vorstellung, den roten Faden.

Der Nebenzweck wird zur Hauptbeschäftigung, so halten Getränke nicht lange vor. „Ich hätte jetzt gerne einen Whisky, einen Macallan“. Die Karte ist beeindruckend, leider kann ich mir nie merken welcher nun gut geschmeckt hat, und welcher nicht. Jedes Mal muss ich wieder von vorne anfangen. Hier wird der Whisky stilgerecht und ansprechend serviert, in einem ordentlichen Glas, selbstverständlich ohne Eis, aber mit einer Karaffe Wasser.
Diese melancholische Musik, sie klingt ganz gut, ist aber nicht gerade hilfreich. „Was für Musik läuft da gerade“, frage ich die Bedienung, die mir darauf PJ Harvey antwortet. Sagt mir gar nichts, aber die werde ich mir kaufen, wenn ich den Namen nicht vergesse. Ob der 12 Jahre alte einen großen Unterschied zum 18-jährigen bietet? Ausprobieren, „Jetzt nehme ich mal den sechs Jahre länger im Fass gereiften Macallan“. Vertane Zeit, rausgeworfenes Geld, weiter, weiter durch die Stadt. Schlafen ist unmöglich, und ich will auch nicht in meiner Wohnung sein. Das erdbeer, die Pony Bar, Kaffee Burger, noch in den roten Salon, ins Watergate, forty seconds? Rien ne va plus. Zuhause lasse ich mir den Abend noch mal durch den Kopf gehen.

Die Wetterseite im Internet macht den morgigen Tag mit einer strahlenden Sonne an einem blauen Himmel schmackhaft.

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Die Summe von all dem ergibt das "Warten auf den Tod".
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