Donnerstag, 5. Januar 2006

Die dumme Sau

Sie war gut vorbereitet. Keineswegs konnte ihr gegenüber der Vorwurf erhoben werden, zu wenig getan zu haben oder sie sei ihrem Potential nicht gerecht geworden. So war es schon immer, in der Schule, auf der Uni und auch jetzt.

Diese Prüfungen sind kein Witz, ganz und gar nicht. Natürlich kann man sie zu einem solchen machen, wie alles im Leben, doch wer diese Etappe mit Ernst betreibt, der schlägt sich durch eine Dornenhecke, aus der nur Einzelfälle ohne jegliche Art von Blessuren wieder heraus gelangen. Wenige Tage entscheiden über die Weichenstellung in die Zukunft. Stress, gerade für die, deren Herzen an einem bereits bestimmten Ziel verankert sind und jeder weiß, dass nur die wenigsten dem gewähltem Ziel auch nur entfernt so nah kommen, als dass sie diesem zum Abschied auch nur einen letzten Blick zuwerfen könnten. Sie aber, sie hatte die Chance vorgefahren zu werden, sie wusste es, alle wussten es. Physisch und psychisch befindet sich der Körper dabei in diesen Tagen in einem absoluten Ausnahmezustand. Sie hatte lediglich leichten Husten, der sie allerdings weder störte noch behinderte.

Die Sammelsurien der Gefühlslagen ihrer Kollegen boten in unglücklichen Fällen die Begleitung einer tiefen Depression, andere gaben hingegen ihre innere Aufgewühltheit durch plötzliche Heulattacken und Akne kund. Den glücklicher veranlagten Naturen küsste lediglich der Größenwahn die Füße. Aus alledem stach sie durch den beneidenswerten Zustand zuversichtlicher Gelassenheit hervor.

Sie war sogar erstaunlich gut vorbereitet, alles wurde bedacht. Hatte sich sogar ein Zimmer in der Nähe des Prüfungsortes genommen, um unvorhergesehenen Wetterschwankungen für die ansonsten längere Anfahrt aus dem Weg zu gehen.

Warum sollte es auch ausgerechnet jetzt nicht gut laufen? Ihr Freund wartete zu Hause und schenkte ihr vor ihrer Abfahrt noch einen Glücksbringer. Seit drei Jahren wohnten sie nun zusammen und er freute sich über ihren Erfolg. Bald war sie fertig, würde endlich selbst verdienen.

Am vierten von zehn Prüfungstagen, da stand sie dann vor der Tür, ganz bleich, mit roten Augen. „Mein Freund hat sich gestern von mir getrennt, einfach so“, sagte sie, „Er liebt mich nicht mehr, hat meine Sachen schon teilweise eingepackt, ich soll ausziehen, was soll ich denn jetzt nur machen?“, stammelte sie, während sich ihre Tränen sammelten, um baldig zu beginnen, in einem reißenden Fluss über die Wangen zu fließen. „Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, es ist alles so sinnlos“. Am Abschluss des zehnten Prüfungstages bekam sie noch eine SMS von ihm: „Ich hoffe es ist trotzdem gut gelaufen und Dir geht es gut“, schrieb er da, die dumme Sau.

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