Samstag, 22. Oktober 2005

The same procedure

„Was machst Du eigentlich Sylvester?“, da geht sie wieder los, die Frage, die anscheinend so zeitgleich aus den Mündern quillt, wie die Lebkuchenherzen, Dominosteine und Marzipankartoffeln aus den Regalen der Lebensmittelhändler. „Ich weiß noch nicht, keine Ahnung und ihr?“, natürlich weiß es noch keiner, niemand möchte sich festlegen bzw. verpflichten und die Angst was zu verpassen sitzt natürlich allen im Nacken. DIE ultimative Party, Dom Perignon für lau, bis man selbst zum Abwinken nicht mehr in der Lage ist. Was auch immer, wo auch immer, es geht bestimmt noch besser.

Im Oktober taucht die nervige und unentspannte Frage also schon vereinzelt auf, steigert sich bis zur täglichen Vergewisserung. Dann, drei Tage vor Schluss hat jemand Erbarmen und bekundet, bei sich zumindest was zu kochen. Vielleicht Raclette oder Fondue? Im Anschluss aber noch weg, richtig toll, ganz groß.

„Besser als nix oder bei uns“, denken viele, obwohl die Zeiten in denen man am nächsten Morgen die Wohnung aufschließt und darüber nachdenkt, ob die Kaution nun vollständig weg sei, doch schon längst vorbei sind. Sensible Ohren mögen in der zusagenden Stimme auch Enttäuschung und/oder Resignation vernehmen. Aber das ist ja nicht Neues, ist ja jedes Jahr das Gleiche.

Nachdem der erste Teil des Abends also umständlich angeschoben wurde, stellen sich nun die Probleme in der Frage nach dem „Wohin“ am weiteren Abend. Andere haben sich inzwischen auch festgelegt und die, die die Nerven verloren haben und bereits zusagten irgendwo, versuchen zumindest nachzukommen, zu der vermeidlich besseren Gelegenheit.

- „Ich bin erst zum Essen eingeladen und würde gerne später nachkommen, kann ich noch wen mitbringen?“
- „Quatsch, ans Brandenburger Tor, sind die irre. Sich von Deppen Böller an den Kopf werfen lassen und dazu eingekeilt von unsympathischen Menschen“.
- „Also Parties, für die im Radio Werbung gemacht wird, die gehen doch so was von gar nicht. Nur Verlierer, die keine coolen Leute kennen“. Aha.
- „Du musst doch was wissen, hast Du keine Mail mit einem grandiosen Tipp bekommen?“

Früher hat keiner genervt. Wir feierten immer mit meinem Onkel. Die Familie traf sich und viele Freunde, die auch meist gleichaltrige Kinder mitbrachten. Das Haus war voll. Es gab Fondue und Kassler im Blätterteig, kalte Platten, bestückt mit von Zahnstochern durchbohrten, Weintrauben, Käsestückchen, die schließlich in einem mir Butter bestrichenen Salzcracker endeten, Krapfen (Berliner), Mitternachtssuppe, Tischfeuerwerk. Die Wohnung war geschmückt und es war eigentlich immer lustig, immer was los und immer sehr entspannt. Der Gipfel, in jeder Hinsicht, war wohl das Feuerwerk, das mein Onkel jedes Jahr veranstaltete. Mit einer Zigarre im Mund dirigierte er die Gäste zum Abfackeln der Raketen, Böller..., die wir zuvor aus den Tiefen seines mächtigen Kofferraums kramten. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft wir gehen mussten, um das Zeug in den Garten zu tragen. Aber in einem der Jahre verlangte ein Nachbar sofortige Ruhe, da war es bereits halb zwei. Seitdem mein Onkel ihm die gut behangene Wäscheleine mit dem Luftgewehr zerschoss, war der aber auch immer am Sticheln, so erzählt man sich in der Familie.

Und wir, jetzt nur wenig jünger als die Bagage damals, was veranstalten wir da eigentlich?

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