Für Elise

Natürlich bekam ich Klavierunterricht, selbstverständlich. Klavierunterricht gehört so sicher zu einer guten Erziehung, wie der Teufel das Weihwasser meidet. Meine Eltern wussten das ganz genau. Ich hatte bereits einen Anlauf hinter mir und nun sollte es weitergehen mit dem Unterricht. Mein Vater lockte mich damit, dass mir später alle Frauen zu Füßen liegen würden, denn Frauen lieben Männer, die gut Klavier spielen können. - „Setz Dich auf einer Party an´s Klavier und der Abend gehört Dir“, war der Motivationsruf meines Vaters.

Aber ich wollte die Frauen jetzt und nicht erst in fünfundzwanzig Jahren. Auf welcher Party setzt man sich schon an ein Klavier? Ich stellte mir gediegene und insbesondere fertige Einrichtungen vor, wer hat jetzt ein Klavier bei sich stehen? Einladungen, auf denen man im Anzug erscheint und mit einem Glas Champagner eine Weile rumsteht. Nach dem Essen gemeinsam nach draußen schlendert, das Verdeck des neuen Autos hoch und runter fahren lässt, um schließlich irgendwann mit einer brennenden Zigarette, einem Glas Whisky, an das Klavier des Hauses schlendert und hübschen Jazz spielt? („Ach, Herr Bunbury, könnten Sie bitte Ihre Zigarette löschen, bevor Sie am Flügel spielen.“) Nein, das lag für mich eigentlich in weiter Ferne. Ich wollte es JETZT, nicht später. Rock´n Roll sollte es sein und zwar heftig. Nicht Frank Sinatra oder Dean Martin, quatsch, mindestens Mick Jagger und Iggy Pop. Ich wollte keine mich heimlich anhimmelnden Frauen, die auf dem Sofa sitzend, die Hand ihres Mannes haltend, meiner Klaviermusik lauschen. Ich wollte kreischende Frauen, die BH´s schwenkend zu meinen Füßen drängen, während ich auf der Bühne das Rock´n Roll – Tier gab. Ich war fünfzehn, mir stand das Wasser bis zum Hals und ich wollte eine E-Gitarre, anstatt meine Zeit wieder mit langweiligem Klavierunterricht zu verbringen.

„Beherrsche erstmal ein vernünftiges Instrument “, beschwichtigte mein Vater. „Das ist doch alles nichts wert und verhuschte Leute sind das auch. Später kannst Du dann ja auch Musik in der Art von Jerry Lee Lewis machen. Der geht doch auch flott voran“, argumentierte mein Vater weiter, als ob ich eine Wahl gehabt hätte.

„Und gefällt Dir der Wagen?“, fragte mich ein braun gebrannter Typ am Eingang zur Musikschule. Ich musste zugeben, noch nie zuvor ein Auto mit soviel Lüftungsschlitzen gesehen zu haben. Ganz schwarz war der Zweisitzer und man saß fast auf der Straße, so tief lag dieses überaus windschnittige Gefährt. „Das ist ein richtiges Geschoss, der Lotus. Komm, wir drehen ´ne Runde“. So lernte ich meinen Klavierlehrer kennen.

Warum ich Klavierspielen möchte, fragte der mich, und auf die Antwort, weil meine Eltern das für sinnvoll erachten, schüttelte er nur den Kopf und meinte, dass das reine Zeitverschwendung wäre. Ohne Motivation geht da nichts. „Um Frauen aufreißen zu können?“, druckste ich herum und erhoffte mir eine Bestätigung der Ansicht meines Vaters. „Aufreißen oder kennenlernen?“, fragte mich mein Klavierlehrer daraufhin. Dazu konnte ich nun nichts sagen.

„Also hör zu“, sagte er: „Vorgestern bin ich mit dieser Karre im Cafe XY vorgefahren, da spricht mich doch glatt so´ne Katalogblondine an und fragt mich, ob das mein Wagen wäre, und mit so einem würde sie ja auch gerne mal fahren. Damit hatte ich natürlich kein Problem. Sie springt rein, lässt ihren Begleiter sitzen und das war´s. Das ist aufreißen, wer hier wen, ist jetzt auch völlig egal. Mit der hatte ich auch super Spaß, aber klar, die ist bekloppt, und kommt als was Ernstes nicht in Betracht. Wenn der nächste Depp einen hipperen Wagen fährt, dann zieht die vermutlich wieder mit dem weiter. Kennenlernen, ins Gespräch kommen, einen Fuß in die Tür stellen, dafür ist Klavierspielen perfekt. Das kann ich Dir aus eigener Erfahrung sagen. Allgemein würde ich eine Frau, die mein Klavierspiel gut findet, einer Frau, die lediglich auf meine Karre steht, für eine Beziehung immer vorziehen“. Na, mein Klavierlehrer konnte es sich nun auch aussuchen.

Ich saß in einem klasse Wagen, schoss in wahnsinnigem Tempo über die Landstraße und redete zum ersten Mal ernsthaft über Frauen, ein in Erinnerung bleibender Tag. Für mich, als damals fünfzehnjährigen, hatte die willige Katalogblondine natürlich den größten Reiz, die hätte ich schon gerne gehabt. Und mein Klavierlehrer war für mich damals eine coole Sau: Surfen, Reisen, Abhängen und jeden Dienstag gab er nun Klavierunterricht, warum auch immer. Er besorgte schließlich anständige Noten und Klavierspielen machte richtig Spaß.

In einer der Unterrichtsstunden bot er mir - oder vielleicht hätten meine Eltern auch Interesse - doch tatsächlich ein umfangreiches Silberbesteck an. Es hätte für eine wirklich große Gesellschaft gereicht und war in einem riesenhaften Koffer, so dass ich mich noch fragte, wie das überhaupt in sein Auto passte. Mein Sinn dafür hielt sich in Grenzen und meinen Eltern hatte ich erst gar nicht davon erzählt.

Dann, eines Dienstags, stand ich vor der Musikschule, und er kam nicht mehr. Ich dachte aufgrund seiner Fahrweise zunächst an einen Verkehrsunfall, doch gab ein durch meine Mutter geführtes Gespräch mit der Musikschule den tatsächlichen Sachverhalt preis. Hinter vorgehaltener Hand, und natürlich ganz im Vertrauen, wurde meiner Mutter folgender Umstand zugetragen, den meinen Klavierlehrer für längere Zeit außer Gefecht setzen sollte:

Er hatte nämlich einen Freund davon abhalten wollen, eine Bank zu überfallen. Dieses "abhalten Wollen" wurde ihm durch einen verkniffenen Staatsanwalt leider als Beihilfe ausgelegt. Eigentlich wollte mein Klavierlehrer seinen Freund vor der Bank abfangen und den Überfall verhindern. Warum er ihn dann aber doch machen ließ, die ganze Zeit am Auto wartete, und schließlich mit ihm wegfuhr, konnte er zugegebenermaßen auch nicht schlüssig erklären. Sein Freund hatte jedenfalls leichte Drogenprobleme und brauchte Bares zur Beschaffung. Dessen Eltern hatten zwar auch Geld, waren aber nicht der Meinung jeden Spleen ihres Sohnes zu finanzieren. Dort wo der Spaß für den Sohn eigentlich erst anfing, da hörte er für die Eltern also auf.

Die zwei konnten von der Polizei auch relativ schnell gefasst werden. Der zugeschossene Freund, auch ein Liebhaber schöner Autos, hatte bei einer namenhaften Autovermietung ein wirklich schickes Cabrio zum Zwecke des Überfalls - nach dem Motto: Stilvoll geht die Welt zu Grunde - über seine Kreditkarte angemietet. Das auffällige Gefährt parkte während des Überfalls, natürlich mit offenem Verdeck, direkt vor der Bankfiliale.

Seitdem war es aus mit dem Klavierunterricht und ich durfte Gitarre spielen und hatte einen, in jeder Hinsicht, guten Auftritt mit der Abi – Band. E-Gitarren sind die Sportwagen unter den Musikinstrumenten.
caliente_in_berlin - 17. Nov, 14:04

Bei der Gitarre gabs dann wohl auch mehr Motivation?!

Bunbury - 17. Nov, 23:38

Im Vergleich zum Klavier war die Motivation schon fiebriges Verlangen.
arboretum - 17. Nov, 23:55

Und hat es dann auch funktioniert mit der Gitarre und dem kennen lernen?
Bunbury - 18. Nov, 09:52

Leider nicht in dem erträumten Umfang, aber ich war mit dem Ergebnis trotzdem sehr zufrieden.
arboretum - 18. Nov, 16:30

Ah, aufreißen hat also besser funktioniert als kennen lernen. Hmm. Sollte Ihr Vater (und der Klavierlehrer) am Ende doch recht behalten haben?

Ich habe mich für Klavier spielende oder singende Männer ja ganz gern zum Narren gemacht. Obwohl, wenn ich recht überlege, war auch ein Gitarrist dabei.
Bunbury - 18. Nov, 18:36

Na ja, es hat zumindest funktioniert. Zu einer Pauschalierung kann ich mich allerdings nicht hinreißen -„nobody knows the way it´s gonna be“. Dafür wird sich das ausgemalte Bild mit den Anzügen und Stehpartys sicherlich verwirklichen. Ist aber auch keine Enttäuschung, da ich mich im Anzug ohnehin wohler fühle und froh bin, nicht mit freiem Oberkörper die Bühnen verwüsten zu müssen.

Das mit dem Narren habe ich beim spielen auch bei einigen Gelegenheiten gedacht, also über mich.
Bandini - 17. Nov, 15:10

Ich habe es auch mit Gitarre versucht und bin gescheitert. Plötzlich schien Gitarre das absolut langweiligste Instrument der Welt, New Wave wehte durchs radio und ich stellte die Gitarre für immer in die Ecke. Später, als ich eine Punkband angehören wollte, habe ich es ehrlich bereut.

Bunbury - 17. Nov, 23:41

Es ist doch nie zu spät, holen sie das Stück wieder aus der Ecke und ab die Post.
caliente_in_berlin - 17. Nov, 23:43

Ich hab auch erst im "hohen" Alter angefangen!
Bunbury - 17. Nov, 23:46

Als Gitarristin in einer Punkband?
caliente_in_berlin - 17. Nov, 23:52

hmm...wär auch nicht schlecht... ;-)
nee...erstmal überhaupt so'n instrument in die hand zu nehmen!
Bunbury - 18. Nov, 09:53

Gitarre ist als Einstieg eine gute Wahl, man macht schnell Fortschritte und kann schon bald die ersten Songs schrammeln. Der Klassiker ist da vermutlich Knockin´on Heaven´s Door, war zumindest mein erster. Bleiben Sie am Ball.
Yugo Amaryl - 18. Nov, 13:38

Na, da werd ich mir vielleicht auch noch mal überlegen, so ein Instrument anzufassen. Kann man Gitarre auch im Selbstunterricht vernünftig lernen?
caliente_in_berlin - 18. Nov, 15:57

Meiner Meinung nach ja. Hauptsache Motivation zum regelmäßigen Üben ist da! Ich hab so angefangen. Aber nach einer gewissen Zeit musste ich mir eingestehen, dass ich festhänge, nicht weiter komme und dadurch keine Lust mehr habe. Deshalb gings dann doch ab zum Lehrer.
burnston - 21. Nov, 12:11

Ich bin mit den Resultaten des Gitarrespielens nun seit mittlerweile 13 Jahren hoch zufrieden. Hoch zufrieden.

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