Fahrkartenautomaten

Sollte ich irgendwann einmal völlig ausrasten, mich auf dem Boden wälzen, schimpfen und schreien, gar in Verbreitung sinnloser Gewalt verfallen, so ist die Wahrscheinlichkeit dies in nächster Nähe zu einem Fahrkartenautomaten der Deutschen Bahn geschehen zu lassen unerfreulich hoch. Der Leser mag nun denken: „Ach ja, diese Automaten, auch ich habe meine Schwierigkeiten mit der Bedienung.“, vielleicht denken Sie auch: „Nun, ich muss mich doch sehr wundern, sollte Herr Bunbury nicht in der Lage sein....“ Stein des Anstoßes wird allerdings mitnichten der Automat selbst sein, nein, diese vorzüglichen Automaten, die über ganz Deutschland verteilt sind und ihre Zwecke sachdienlich erfüllen bereiten mir keine nervliche Belastung. Auslöser und Schuld allein werden irgendwelche anderen Nutzer sein, hinter denen ich mich wartend in den Wahnsinn steigere. Zu meinem Leidwesen hat deren Anzahl, so scheint es mir, auch leider beträchtlich zugenommen.
Mit dem Einsatz der Fahrkartenautomaten trat ja zunächst eine Zeit der Befreiung ein. Mit Grausen denkt man zurück an die langen Warteschlangen, die einen früher zum ersehnten Ticket führten. An die Hände der Angestellten, die behutsam und behäbig die Daten in den Computer eingaben. Das Schild auf dem Tresen „Schalter nicht besetzt,“ das in Anbetracht der wartenden Massen geradezu zynisch wirkte und sicherlich nur aus Schikane aufgestellt wurde.
Auch noch heute können diese Schlangen bei einem Blick an die Verkaufsschalter aufgrund ihrer Länge beängstigend sein. Die Automaten hingegen waren in ihrer Anfangszeit immer leer. Niemand traute sich wirklich daran und sollte es tatsächlich mal jemanden geben, dann war er aber auch in der Lage seinem Ticketwunsch schnell und präzise einzugeben. Man wartete nicht vergebens und es war in Ordnung. Doch dies ist aufgrund der bitteren Erfahrungen der letzten Zeit wohl vorbei.
Immer wieder schlägt nun der überforderte Anwender zu und immer steht er ausgerechnet vor mir. In grausamen Fällen auch derer fünf hintereinander und man kann sie zu jeder Uhrzeit des Tages antreffen. Natürlich erahnt auch niemand dieser Hindernisse, dass mein Zug in 8 Minuten den Bahnhof verlassen wird. In diesen Augenblicken bin ich mir dann auch immer sicher, er wird es ohne mich tun.
Zunächst gibt es den Benutzer, der es zum ersten Mal versucht. Er tippt mal da, mal dort. Liest die verschiedenen Aufforderungen mehrfach und lässt die so erlangten Informationen langsam sacken. Das kann passieren und man trägt sich mit der leisen Hoffnung, er werde bei der nächsten Gelegenheit behände das ersehnte Ticket erlangen. Der ein oder andere kramt dazu noch seine Brille hervor, eine dieser Lesebrillen, die es überall zu erwerben gibt und immer halb auf der Nase zu sitzen pflegt. Diesen Hilfsbedürftigen springe ich in der Regel schnell zur Seite, sollte die verlaufende Zeit mir wirklich Anlass dazu aufnötigen. Meine Stimmung verdüstert sich allerdings mit zunehmendem Zeitablauf und erfährt einen Höhepunkt, wenn die Person irgendwann die eigene Unfähigkeit einsieht und unverrichteter Dinge, kopfschüttelnd, den Ort des Scheiterns verlässt, um den Persönlichen Kontakt zu einem Schalterbeamten zu suchen. In solchen Fällen fühle ich mich dazu hingezogen hinterher zu eilen und dem Schussel einen ordentlichen Tritt in den Arsch (Entschuldigung) zu versetzen, ohne Verzögerung, den Anlauf nutzend, brüllend: „MANNOMETER, WENN ICH SIE NOCH EINMAL VOR EINEM AUTOMATEN SEHE.“ Doch für solch heroische Taten fehlt mir ja gerade in diesen Augenblicken die Zeit.
Andere scheinen über das Fahrtziel noch zu sinnen. Wissen anscheinend noch gar nicht, wo sie denn überhaupt genau hin möchten und womit: ICE, IC oder RB? „Hm, kann ich auch über X nach Y fahren,“ scheinen sie zu denken und überprüfen es gleich. Lassen Verbindungen suchen und springen wieder zurück. Fahren mit dem Finger über das Schriftbild. Bewegen gar beim lesen die Lippen. Gucken in ihre Taschen, klapp auf, klapp zu und suchen nach einem Zettel, der dann, sollte er in dem dunklen Universum schließlich gefunden werden, umständlich auseinander gefaltet wird. Donnerstag - Kevin holt mich auf dem Bahnsteig ab, steht dann da. Das Handy aufgeklappt: „Du, ich stehe jetzt vor´m Fahrkartenautomaten, nix, hier am Alex. Wann soll ich denn jetzt kommen? Ich weiß gar nicht was ich hier drücken soll. ICE is viel teurer als IC. Bin ja nicht bescheuert. Da fahre ich doch nicht mit dem ICE. Oha, wenn ich mit dem ICE fahre spare ich knapp 70 Minuten Fahrzeit. Was? Na klar, können wir uns früher sehen und haben mehr davon, logo. Fahre ja auch nicht oft Zug. Ach egal, soll es mir dann auch Wert sein, wenn wir schon was machen. Also, ich komme mit dem ICE und bin gegen 10.00 bei Dir. Freu mich, Tschüssi. Rufe Dich aber aus´m Zug noch an. Küsschen. Also Handy haste ja immer dabei, ne. Mach´s gut. Tschüss.“
Die ganze Prozedur dauert eine Ewigkeit. Der Gipfel meiner Aufregung wird aber durch den Fahrplanausdrucker hervorgerufen. Dieser benimmt sich oft nicht minder umständlich, und kauft letztendlich auch keine Karten, sondern druckt nur die möglichen Verbindungen aus. In einigen Fällen auch nur eine, vielleicht die Rückfahrt? Kann man sich den Mist nicht einfach merken. Warum nutzt eigentlich keiner mehr die Fahrpläne. Die gelben, die überall in den Bahnhöfen aushängen und auf denen Abfahrt steht. Das ist doch nun wirklich einfach und nicht zuviel verlangt und jedem zumutbar.
„KAUFEN SIE JETZT DIE SCHEISS FAHRKARTE ODER NICHT?“, entfuhr es mir tatsächlich einmal wutentbrannt. „Tut mir leid, aber mein Zug fährt gleich ab und ich habe es sehr eilig“, versuchte ich meinen unschönen Ausrutscher zu entschuldigen und die aufkommenden Wogen zumindest ein wenig zu glätten. Ich wurde vorgelassen.
Natürlich habe ich mich schon oft gefragt: „Bunbury, warum machst Du das hier eigentlich, warum stehst Du am Fahrkartenautomaten?“ Nun, ich weiß es auch nicht. Sicher, ich könnte mich einfach gemütlich in den ICE setzen und mit meiner Kreditkarte den Fahrschein direkt beim Schaffner erwerben. Der geringe Aufpreis sollte der ersparte Stress allemal wert sein. Es wäre doch wirklich toll, wenn eine Stresserleichterung immer für 2,50 € zu haben wäre. Ich könnte die Fahrkarte alternativ auch im Internet kaufen und einfach ausdrucken, ja, das wäre auch überhaupt kein Problem. Oder darauf zu hoffen bei Lidl Fahrkarten für die Bahn ergattern zu können.
Aber nein, diese Möglichkeiten kommen für mich aus irgendeinem Grund nicht in Betracht und das finde ich bedenklich. Brauche ich das, ich rege mich ja sonst selten auf. Habe ich im Unterbewusstsein eine Freude daran? Bin ich in der Schlange der Automatennutzer eventuell der größte Depp?
arboretum - 10. Aug, 23:15

Falls Sie heute zwischen 19.40 und 20 Uhr Schluckauf hatten, bin ich schuld. Ich wartete an einem dieser Automaten und musste dabei irgendwie an Sie denken.

Bunbury - 11. Aug, 11:21

Gestern war ich ganz ohne Schluckauf, allerdings bekam ich kurz Nasenbluten, doch sind die sicherlich auf meine heraneilende Erkältung zurückzuführen. Welcher Typ des Automatennutzers stand vor Ihnen oder denken Sie jetzt immer vor Fahrkartenautomaten an mich?
arboretum - 11. Aug, 21:44

Eine Dame im Hosenanzug, die sich ihre Zugverbindungen bereits im Internet zusammengesucht hatte, aber trotzdem an dem Automaten zu verzweifeln schien. Sie wollte nach Berlin Zoo und brauchte fast eine halbe Stunde, um ihre beiden - halten Sie sich fest - Sitzplatzreservierungen zu bekommen. Wohingegen ich nach dieser ganzen Warterei feststellen musste, dass es für den Zug, den ich mir für die Hinfahrt nach Leipzig ausgesucht hatte, keinen Sparpreis 50 mehr gab. Es gibt an dem Tag nur morgens um 6.32 Uhr ein Sparpreisangebot, grummel. Jetzt steige ich halt mittendrin aus dem einen durchgehenden ICE nach LE in einen anderen durchgehenden ICE nach LE, der eine Stunde später fährt, dann bekomme ich den Sparpreis doch. Wozu hat man kluge Freunde, die wissen, wie man die Bahn austrickst.

Haben Sie auch häufiger Nasenbluten? Oder war das Ihre Art, gestern meiner zu gedenken? Meine Erkältung ist diesmal ziemlich hartnäckig, ich mag gar nicht daran denken, wie das wird, wenn ich sie bis nächste Woche nicht los bin und ich wieder in einen klimatisierten ICE steige.

Nachtrag: Soeben habe ich mir zum ersten Mal eins dieser Online-Tickets ausgedruckt. Sieht zwar sehr profan aus, aber bequem ist das schon.
Bunbury - 15. Aug, 01:52

Beides. Nasenbluten bekomme ich allerdings wirklich nur bei Erkältungen, sie begrüßen mich so und verabschieden sich entsprechend. Meine Erkältungen sind in dieser Hinsicht ziemlich eingefahren.
Online – Tickets sind leider in jeder Hinsicht schrecklich langweilig, nicht wahr?
arboretum - 16. Aug, 00:53

Das war aber sehr solidarisch von Ihnen. ;-)

Das Design der Online-Tickets lässt sehr zu wünschen übrig. Sollten Sie im Hinblick auf Kundenbindung usw. schnellstens verbessern. Außerdem verstehe ich nicht, wieso die Fahrkarte nicht übertragbar ist.
Bunbury - 16. Aug, 01:10

Ach, Bahn und Verständnis..., da bin ich schon vor Jahren ausgestiegen. Wie stehen Sie eigentlich zu Schlaflosigkeit?
arboretum - 16. Aug, 01:24

Ich bin, glaube ich, schon eher eine Nachteule. Besonders im Sommer gehe ich spät ins Bett und werde früh wach. Spätestens, wenn die Papageien draußen vorbeifliegen, die müssen nämlich aller Welt kundtun, dass sie nun ausgeschlafen und unterwegs sind (ich schlafe stets bei offenem Fenster). Im Winter hingegen weigere ich mich, von alleine wach zu werden, so lange es draußen noch dunkel ist. Da hilft nur eine Zeitschaltuhr an einer Lampe mit sanftem Licht, damit ich zu mir komme.
Es gab aber auch schon Zeiten, da war ich dauernd müde und bin freiwillig abends um halb elf ins Bett. Aber auch dann habe ich nie durchgeschlafen, ich träume immer so viel Zeugs, außerdem habe ich einen leichten Schlaf.
Und Sie?
Bunbury - 16. Aug, 01:51

Da ist es mit mir ganz ähnlich, sogar mein Fenster ist größtenteils des Jahres geöffnet. Allerdings wecken mich hier keine Papageien, sondern es lenken mich andere Nachteulen von der Inbetrachtziehung des Schlafens ab. Gerade bei warmen Temperaturen ist hier vor meinem Fenster recht viel los. Ich habe soeben aus dem Fenster geschaut und gegenüber sind die Tische immer noch voll besetzt und es wird sich unterhalten, gelacht und getrunken. Gerne gehe ich um diese Zeit noch mal kurz vor die Tür, man trifft eine Menge netter Leute und kommt schnell in lustige Gespräche. Im Augenblick komme ich überraschender Weise mit sehr wenig Schlaf aus. Mit der Situation im Winter stimme ich mit Ihnen völlig überein.
arboretum - 16. Aug, 14:35

In meiner Nachbarschaft, ein Stück die Straße hinunter, befand sich bis vor kurzem eine Russendisko. Nicht nur Moskauer Abende sind lang, hier waren es die Nächte am Wochenende auch, und man konnte morgens zwischen vier und halb fünf Uhr immer hören, wie die Krim-Tartaren und Don-Kosaken marodierend durch die Gegend zogen Gäste sich auf den Heimweg machten. Soweit ich weiß, sollte der Laden aber dicht gemacht werden, und da ich an den vergangenen Wochenenden nichts mehr hörte, ist das wahrscheinlich inzwischen passiert. Ich glaube, wirklich traurig bin ich darüber nicht.
Nächste Woche in L. wird's hart, meine Freundin wohnt an einer dröhnenden Straßenschlucht, die Häuser sind gar nicht hoch, aber es ist unglaublich laut. Obendrein gibt's dort auch irgendeinen Club, aus dem die Studis immer lautstark redend nach Hause gehen.

Heute habe ich übrigens eine neue Methode gegen Einschlafschwierigkeiten gelernt. Falls Sie an so etwas Interesse haben oder Bedarf besteht, lassen Sie es mich wissen. Im Übrigen finde ich, man sollte im Winter nicht aufstehen müssen, solange es draußen noch dunkel ist. Für das Recht auf Winterschlaf, jawohl!

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wie schrecklich.
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Die Summe von all dem ergibt das "Warten auf den Tod".
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