Dienstag, 6. Juni 2006

Wellnessparks

Wenn man seine Stadt und sein vertrautes Umfeld verlässt, um einer Einladung von Bekannten zu folgen, die früher vielleicht einmal Freunde hätten werden können, dann ist es doch immer wieder erstaunlich zu bemerken, wie entrückt und abwegig sich manche ehemaligen Wegbegleiter entwickelt haben.

Zur gleichen Zeit, zu der Berliner Berufsjugendliche den Abend starten, indem sie die ersten Bars besetzen oder immer noch auf dem Rasen des Helmholtzplatzes lümmeln, saß ich im Anzug mit Krawatte - denn um Abendgarderobe war gebeten - an einer wirklich sehr schön gedeckten Tafel. Es war ein seltsames Gefühl, irrational, fremd und absurd. Die Gedanken schweiften in die Vergangenheit, und ich sah mich wiederum zehnjährig hier sitzen, zwischen all den Stimmen, den vielen Gläsern. Mit Augen, die Leute in Anzügen wahrnahmen, die sich allzu ernsthaft unterhielten, über Steuern, Benzinpreise, Subventionsabbau, Einbauküchen, private Altersvorsorge, Heiraten. Diese Zeit, als wir begannen, an der Tafel bei den Erwachsenen zu sitzen und nicht mehr am Kindertisch Platz nehmen mussten oder besser durften:

„Die Pendlerpauschale...“, setzte der mir schräg Gegenübersitzende an. Sein ganzes Ich - Erklär - Die - Politik - Gewäsch hatte ich schon letzten Montag im Spiegel gelesen. Die wandelnde Inhaltsangabe des Politikteils wandte sich im Anschluss der Reichensteuer zu. Der Weißwein schmeckte vorzüglich und war genau richtig temperiert. „Nur ein Tropfen auf den heißen Stein...“, klar, der durfte jetzt natürlich nicht fehlen und passte so oder so. - „Wenn ich ab dem nächsten Jahr 250.000 Euro verdiente, dann wäre ich sogar bereit 6 Prozent mehr Steuern zu zahlen. Ehrlich, da hätte ich kein Problem mit“, warf ich dazwischen. Allgemeines Unverständnis; meine Gesprächsbereitschaft war erstmal gedeckt. Immerhin ein wirklich guter Weißwein, bei wärmeren Temperaturen gibt es gegen einen sorgfältig gekühlten Weißwein praktisch nichts einzuwenden. Und da wird in manchen Kreisen behauptet Berlin würde zu übermäßigem Alkoholkonsum verführen, dabei sind diese Art der Zusammenkünfte um ein vielfaches gefährlicher, hier, wo die Welt doch in Ordnung ist.

„Ihr da, in Berlin...“, ich war gemeint, mit einem Augenzwinkern wurde ich als „der Berliner“ betitelt. „Ich könnte nicht in Berlin wohnen, die Stadt ist mir einfach zu groß“, sagte die Frau eines Gastes. „Dann ist es ja gut für dich, dass du nicht in Berlin wohnst“, sagte ich und nippte weiter an meinem Weinglas, ließ den Blick durch die Wohnung schweifen und beschäftigte sich mit der Frage, in wie vielen deutschen Wohnzimmern wohl die blauen Pferde von Franz Marc hängen mögen. „Wenn ich an Berlin denke, muss ich an die Subventionierung der Theater... völlig vorbei am Publikum...“, der Kerl war einfach nicht zu stoppen und redete hier an einem Abend wahrscheinlich mehr über Geld als Josef Ackermann bei der Hauptversammlung der Deutschen Bank. „Was Du alles weißt!“, sollte die Verlobte später leise im Flur zu dem Politikreferenten sagen, an der Garderobe, beim Gehen, nicht ohne Stolz.

Ich stellte mir vor, wie die anbetungswürdige Kathrin Angerer samt der weiteren Castorfschen Volksbühnenentourage, dem Schwätzer - völlig am Publikum vorbei - die Leviten lesen würde. Laut, aggressiv und schmutzig.

„Meine Frau und ich würden sich der einsetzenden Aufbruchstimmung gerne anschließen“, sagte ein Gast, als sich erster Besucher zum Aufbruch aufmachte. „Es ist schon spät und wir wollen den Sonntag morgen noch genießen. Aber wenn es am schönsten ist...“ Ich staunte und beschloss, diesen Satz in meinem Blog zu verewigen. Zum Glück war der Arsch ein Mann der Tat und ließ der vortrefflichen Formulierung Entsprechendes sehr zeitnah folgen. Schön, das es noch Menschen gibt, die zu ihren Ankündigungen stehen. „Was machst Du eigentlich“, wurde ich schließlich gefragt und ich entschloss mich, das bis dato geheime Projekt auf den Tisch zu knallen. Ich begann zu erzählen, ich erzählte von der großartigen Vision einer unglaublich coolen und durchgestylten Einlaufanstalt.

Zunächst in Charlottenburg, jetzt, da das Goya vielleicht zu mieten sei. Düsseldorf und München sollten folgen. Schließlich mit Filialen in der ganzen Welt, ähnlich wie Starbucks oder Gucci. Im Grunde soll eine Art Wellnespark entstehen. Völlige Entschlackung und das befreiende, jungbrunnenhafte Gefühl. Die Wiedergeburt eines jeden Ichs. Verschiedene Essenzen, die individuell durch Typberatung, Sternenkonstellationen und Auspendelei abgestimmt werden, würden dies ermöglichen. Die Finanzierung sei noch nicht abschließend geklärt, aber man stünde in Verhandlung mit einer Berliner Bank. Und es wird T-Shirts, Poster und kleine Sets zum Selbermachen für zu Hause geben und noch viele andere schönen Dinge.

Doch hier auf dem Land waren die Menschen anscheinend noch nicht bereit für meine Visionen und schüttelten nur ihre hohlen Köpfe. So eilte ich zurück in die Hauptstadt, in der einfach größeres Verständnis und Offenheit für kreative Ideen herrscht.

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