Es / Ich / Über - Ich
„Einen Vodka Absolut Martini“, gab ich der Kellnerin als Bestellung auf. Diesen Satz wollte ich schon seit geraumer Zeit loswerden, er klingt einfach groß.
„Wie, Vodka Absolut Martini?“, fragte mich die Kellnerin. „Also einfach einen Vodka Martini, den Cocktail oder was?
„Wieso, gibt´s denn da mehrere Möglichkeiten? Also ich weiß auch nicht, ich hab´ das nur letztlich in ´nem Buch gelesen und wollte das jetzt mal probieren. Kenn´ mich da auch nicht aus, aber ich bin hier ja auch nur der Gast. Ich hatte mir das aber damit erklärt, dass Absolut einfach die Marke des Vodkas ist“, erzählte ich, starrte der Kellnerin in ihre blauen Augen und für ein paar Hundertstel in den Ausschnitt.
Das ist ja auch immer so eine Sache mit dem in den Ausschnitt Schauen, ich halte das persönlich für einen Reflex. Was soll man machen, das ist nun mal so, da führt kein Weg daran vorbei. Guckt man mal, was es so zu gucken gibt. Finde ich persönlich auch gar nicht schlimm. Allerdings kann man sich durchaus von dem Gedanken frei machen, dass Frauen das nicht merken würden. Man sollte sich unter dem Gesichtspunkt schon ein bisschen im Zaum haben. Eine Freundin war mal mehrere Tage auf einem Seminar, seitdem heißt einer ihrer Kollegen nur noch „Titten – Tobi“, mit so einer Namensverfremdung möchte man ja auch nicht enden. In der ganzen Firma wird der hinter vorgehaltener Hand seitdem so genannt. Eine andere Auslegung erfuhr ich von einer Frau in einem Hotel, die einen Typen als schwul bezeichnete, weil der gar nicht geschaut hat. Was unter diesen Umständen in der Tat eine Leistung an Selbstbeherrschung gewesen sein muss. Auf der anderen Seite kann der auch nur einfach sehr geschickt gewesen sein. Wie man die Sache dreht und wendet, in dieser Angelegeneheit ist ein Mittelweg gefragt.
„Ach so, klar, kann sein. Und welcher Absolut? Es gibt da Orange, Zitrone, Pfeffer, Vanille...“
„WIE WÄRS, WENN DU DEINEN HÜBSCHEN ARSCH MAL BEHENDE ZUR BAR SCHWÄNGEST UND DEN SOLARIUMDAUERKARTENBESITZER, DER IN DIESEM TOURISTENSUMPF ANSCHEINEND FÜR DIE COCKTAILS ZUSTÄNDIG IST, UM ERLEUCHTUNG BÄTEST?“
Habe ich mich natürlich nicht getraut zu sagen, aber es hat ganz schön gekribbelt. Am Ende wäre ich wahrscheinlich von diesem gesagten Satz weitaus überraschter gewesen als die Kellnerin, denn das ist überhaupt nicht meine Art. Im Grunde bin ich wirklich ein netter, zuvorkommender und höflicher Mensch. Aber es lag mir einfach auf der Zunge, wollte raus und hat mich schon sehr gereizt. Doch irgendwas in meinem Inneren wand sich und hat mich am Ende davon abgehalten. Wahrscheinlich meine gute Erziehung, und ganz nebenbei konnte die Kellnerin natürlich auch nichts dazu, obwohl, sie sich schon hätte erkundigen oder zumindest den Vorschlag in den Raum werfen können, den Barchef zu Fragen.
Aber was will man erwarten, wenn man so dämlich ist und sich am Wochenende in eine Bar in den Hackeschen Höfen setzt. Natürlich ist die Grundstimmung da gereizt, und klar war das abzusehen. Selbst schuld, warum die Kellnerin beleidigen. Trotzdem, irgendwie habe ich mich gleich darauf geärgert, es nicht gesagt zu haben, und dann habe ich mich geärgert, dass ich mich darüber geärgert habe. Ich hasse solche Leute, die aufgrund belangloser Nichtigkeiten andere rund machen. Vielleicht werde ich jetzt aber auch langsam zum Arschloch. Warum auch nicht, viele Arschlöcher haben hübsche und nette Freundinnen. Wahrscheinlich sollte man sich einfach nur weniger Gedanken machen.
Am letzten Wochenende hat ein Freund gesehen, wie zwei Fahrradfahrer durch die Stadt fuhren. Nicht ungewöhnlich, mögen Sie denken, richtig, aber die Episode geht ja auch noch weiter. Einer von den Beiden streifte dabei nämlich den Außenspiegel eines an der Ampel wartenden Autos. Der Spiegel war in Ordnung, und der Typ kam da wirklich nur mit der Jacke gegen, aber es war der Teufel los. Der Fahrer hupte und zeterte Unflätiges aus dem heruntergelassenen Fenster. Man könnte jetzt natürlich als Fahrradfahrer den Finger zeigen und weiterfahren - oder nur weiterfahren, aber was macht der Typ: Hält an, lässt seinen Kumpel das Fahrrad halten, geht zum besagten Auto und schickt jenen Außenspiegel mit einem makellosen Tritt in die Gosse. Die Schreierei hört auf und das war´s, eine astreine Reaktion. Wer hat jetzt als Fahrradfahrer in besagten Alternativen den besseren Schlaf, frage ich mich. Wer wünscht sich nicht mal, den inneren Charles Bronson von der Leine zu lassen?
„Das wird mir jetzt ein bisschen viel“, unterbrach ich die Kellnerin stattdessen sehr feundlich, „überrasch' mich, sonst nehme ich einfach ein großes Bier. “
Schließlich bekam ich von der in Berlin - Mitte jobbenden und manchmal modelnden Film- o. Schauspielstudentin einen Martini Bianco mit einem Schuss Vodka Absolut ohne Zusatzgeschmack gebracht. Kann man trinken, muss man aber nicht.